|Rezension| Ein Sommerabend – Cécile Tlili

von | Jun 30, 2024 | 0 Kommentare

“Der Gott des Gemetzels” mit weiblichem Fokus

Verlag: Kein & Aber
Originaltitel: Un simple dîner
Übersetzung: Norma Cassau
Gebundene Ausgabe: 21,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 17.05.2024
Seiten: 192

„Zwei Jahre zuvor hatte Claudia sich an Etiennes Liebesversprechen geklammert wie eine Schiffbrüchige an das rettende Boot, an das sie nicht mehr geglaubt hatte. Seither hat sie sich Stück für Stück von der Strömung in das kalte graue Meer der Einsamkeit ziehen lassen (…).“ (S.72)

Inhalt

Wann ist der geeignete Moment, das eigene Leben zu überdenken? Cécile Tlili erzählt davon, wie ein einziger Abend alles verändern kann. Ein rasanter und scharfsinnig beobachteter Roman über die Abgründe menschlicher Beziehungen und den unschätzbaren Wert von Emanzipation und Selbstbestimmtheit.

An einem heißen Sommertag in Paris treffen sich zwei Paare, um den Abend gemeinsam zu verbringen. Was nach einer harmlosen Essenseinladung klingt, entpuppt sich als eine aufwendige Maskerade, bei der alle versuchen, den Schein zu wahren, um ihre ganz eigenen Ziele zu verfolgen.

Mein Eindruck

Ein scheinbar harmloses Abendessen unter zwei befreundeten Paaren im Hochsommer in einer Pariser Wohnung: Das ist die Ausgangslage in Cecile Tlilis Debüt “Ein Sommerabend”. Von Beginn an entfaltet sich innerhalb dieses Kammerspiels eine intensive Atmosphäre. Schnell ist spürbar, dass keiner der beiden Paare wirklich Lust auf diesen Abend hat – natürlich zeigt man dies an der Oberfläche nicht. Apropos Oberfläche: Der Schreibstil der Autorin ist alles andere als oberflächlich. Er nicht nur durch einen herrlich bösen Humor geprägt, sondern auch durch eine beeindruckende Klarheit. Die Autorin versteht es meisterhaft, eine packende Geschichte zu erzählen, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann zieht. Allein für den so harmlos und einladenden Titel “Der Sommerabend”, den man im Nachhinein nur genauso ironisch verstehen kann wie den Originaltitel “Un simple dîner”, verdient es dieses Buch, von euch gelesen zu werden.

“Ein Sommerabend” erinnert in seiner Machart an Yasmina Rezas “Der Gott des Gemetzels”, jedoch mit zwei wesentlichen Unterschieden: Cecile Tlili legt den Fokus stärker auf die weiblichen Figuren und deren Entwicklung. Im Mittelpunkt des Romans stehen menschliche Abgründe, die nach und nach offenbart werden. Die Charaktere sind komplex und zum Teil moralisch ambivalent, was sie umso interessanter macht. Vor allem die Frauenfiguren sind sehr lebendig und ehrlich dargestellt. Ihre Interaktionen sowie inneren Konflikte treiben die Handlung voran. Cecile Tlili scheut nicht davor zurück, tief in die dunklen Seiten der menschlichen Psyche einzutauchen und dabei brisante Themen anzusprechen. Wer eine locker-leichte Sommerlektüre erwartet, ist an dieser Stelle also vorgewarnt: locker-leicht ist hier nichts.

Ein zweiter wesentlicher Unterschied ist das Flair des Romans. Er ist so herrlich französisch: Sei es das Essen, der Wein, die Raucherpausen auf dem Balkon mit Blick auf die Gassen von Paris – die Atmosphäre, die hier geschaffen wird, macht Lust auf einen Paris-Urlaub!

Als weiteres Highlight von “Ein Sommerabend” empfand ich die gelungenen Wendungen und das überraschende Ende. 

Mein Fazit:

Zusammenfassend ist “Ein Sommerabend” ein unterhaltsamer Roman, der durch seine böse Komik, dichte Atmosphäre und tiefgründigen Charaktere überzeugt. Wer Geschichten mag, die menschliche Abgründe ausloten und dabei mit einem schönen Schreibstil und französischem Flair glänzen, sollte dieses Buch sofort als Sommerlektüre konsumieren! 

 
Vielen Dank an Kein & Aber für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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