|Rezension| Eine englische Ehe – Claire Fuller
Über Sein und Schein einer Ehe
„Vergessen Sie den ganzen Quatsch mit den Erstausgaben und signierten Exemplaren. Belletristik hat mit Lesern zu tun. Gibt es keine Leser, haben all die Bücher keinen Sinn – deshalb sind die Bücher genauso wichtig wie der Autor, wenn nicht wichtiger. Aber manchmal erfährt man nur etwas darüber, was der Leser gedacht hat, wie er gelebt hat, als er das Buch gelesen hat, wenn man sich das ansieht,was er zurücklässt.“ (S.137f.)
Worum geht´s?
Eigentlich hatte sie andere Pläne. Ein selbstbestimmtes Leben, Reisen, vielleicht eine Karriere als Schriftstellerin. Doch als sich Ingrid in ihren Literaturprofessor Gil Coleman verliebt und von ihm schwanger wird, wirft sie für ihn all dies über Bord. Gil liebt seine junge Frau, und dennoch betrügt er sie, lässt sie viel zu oft mit den Kindern allein. In ihren schlaflosen Nächten beginnt sie, Gil heimlich Briefe zu schreiben. Statt ihm ihre innersten Gedanken anzuvertrauen, steckt sie ihre Briefe in die Bücher seiner Bibliothek und verschwindet schließlich auf rätselhafte Weise. Zwölf Jahre später glaubt Gil, seine Frau in dem kleinen Ort an der englischen Küste wieder gesehen zu haben – und ihre gemeinsame Tochter Flora, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, beginnt nach Antworten zu suchen, ohne zu ahnen, dass sie nur die Bücher ihres Vaters aufschlagen müsste, um sie zu erhalten …
Cover und Titel
Mein Eindruck
Claire Fullers Debütroman “Eine englische Ehe” beginnt fast wie ein Krimi: Ein Mann meint durch ein Fenster unten auf der Straße seine seit 12 Jahren vermisste und totgeglaubte Frau Ingrid zu sehen. Als Leser ist man dadurch gleich mittendrin in der Geschichte und möchte natürlich erfahren, was mit Ingrid geschehen ist und ob sie wirklich diese Frau auf der Straße war.
Ab diesem Zeitpunkt wird die Geschichte in zwei Handlungssträngen erzählt. Der Leser erfährt wir aus der Sicht eines allwissenden Erzählers wie es mit dem Vater und seinen zwei Töchtern Flora und Nan weitergeht, wobei vor allem die jüngere Tochter und ihre Beziehung zu ihren Eltern im Fokus steht. Der zweite Handlungsstrang sind Briefe, die die verschwundene Mutter Ingrid vor ihrem Verschwinden verfasst und in Büchern versteckt hat. Ein besonderer Clou an dieser Sache: Die Briefe stecken in Büchern, deren Titel passend zum jeweiligen Inhalt des Briefes ist. Die Briefe sind außerdem chronologisch geordnet und der Kern des Romans, da man aus ihnen nach und nach die Details über Gils und Ingrids Ehe erfährt. Da Claire Fuller die Geschichte mittels Briefen erzählt, verzichtet sie damit auf hochdramatische Szenen und emotionale Dialoge. Vielmehr sind die Briefe schlicht eine Nacherzählung der Ereignisse, deren unaufgeregter Ton ich sehr angenehm empfand.
Die Beziehung der beiden beginnt in den 70er Jahren als sich die Studentin Ingrid in ihren Professor Gil verliebt. Nach einem Sommer voller Sex und Liebesschwüre ist Ingrid schwanger. Während sie davon völlig überrumpelt ist, ist Gil überglücklich über die Schwangerschaft. Ingrid lässt sich von dieser Begeisterung blenden, die beiden heiraten überstürzt und ab da beginnt ein Eheleben mit einigen Höhepunkten, aber vor allem auch vielen Tiefpunkten. Die anfänglich verteilten Sympathien für die Protagonisten beginnen sich zu wandeln und am Ende stellt sich heraus, dass nichts so wahr wie es anfangs schien und niemand hinter die Abgründe einer Beziehung blicken kann, auch nicht die eigenen Kinder.
Mein Fazit:
“Eine englische Ehe” ist ein tiefgründiges und melancholisches Portrait einer Beziehung, die über die Jahre einen tragischen Verlauf nimmt. Claire Fullers unaufgeregter Schreibstil und ihre differenzierten Charaktere gepaart mit einer spannenden – fast kriminalistisch angehauchten – Rahmenhandlung machen diesen Roman zu einer lesenswerten und eindrücklichen Lektüre.