|Rezension| Kurt – Sarah Kuttner

von | Apr 9, 2019 | 0 Kommentare

Wie will Sarah Kuttner diesen Roman noch toppen?

Verlag: S. Fischer
Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 13.03.2019
Seiten: 240

„Wobei mir Trost eh der falsche Umgang mit Trauer zu sein scheint. Trost soll Beistand signalisieren, aber auch ermutigen. Meinen Kurt zu einem Leben ohne seinen Kurt zu ermutigen, fühlt sich falsch an. Vielleicht möchte Kurt auch deswegen keinen Trost. Weil er nicht bereit ist, sich einzugestehen, was Menschen unter solchen Umständen schon immer predigen: dass das Leben weitergeht. Ich verstehe das. Ich will ihm nicht sagen, dass irgendwas weitergeht. Obwohl es das natürlich tut. (…) Weil im Grunde allesallesalles weitergeht. Die Welt bleibt nicht für eine beschissene Sekunde stehen. Sie zögert noch nicht einmal.“ (S.105)

Inhalt

Von der Suche nach Familie, der Sehnsucht nach dem richtigen Ort und darüber, dass nichts davon planbar ist

»Ich bin mit zwei Kurts zusammengezogen. Einem ganzen Kurt und einem Halbtagskurt. Jana und Kurt haben sich entschieden, dass sie ihr Sorgerecht teilen, vor allem wenn Kurt schon extra aufs Land zieht. Und so pendelt das Kind nun wochenweise zwischen seinen beiden Oranienburger Zuhauses hin und her: zwei Häuser, zwei Kinderzimmer, unterschiedliche Regeln und alle Menschen, die er liebt.
Und dann bin da noch ich.«

Lena hat mit ihrem Freund Kurt ein Haus gekauft. Es scheint, als wäre ihre größte Herausforderung, sich an die neuen Familienverhältnisse zu gewöhnen, daran, dass Brandenburg nun Zuhause sein soll. Doch als der kleine Kurt bei einem Sturz stirbt, bleiben drei Erwachsene zurück, deren Zentrum in Trauer implodiert.

Sarah Kuttner erzählt von einer ganz normalen komplizierten Familie, davon, was sie zusammenhält, wenn das Schlimmste passiert. Sie erzählt von dieser Tragödie direkt und leicht und zugleich mit einer tiefen Ernsthaftigkeit, so einfach und kompliziert, wie nur Sarah Kuttner das kann.

Mein Eindruck

Bevor ich inhaltlich auf Sarah Kuttners neuen Roman eingehe, muss ich unbedingt loswerden wie sehr ich die Haptik und Optik von „Kurt“ liebe. Ich mag das schlichte Cover, das durch die großen roten Buchstaben des Titels, die mit etwas Fantasie ein Kreuz darstellen und damit bereits einen entscheidenden Hinweis auf den Inhalt des Buches liefern, sofort ins Auge sticht. Noch mehr mag ich aber, dass Man sich bei den Fischer Verlagen gegen die klassische Gestaltung als Taschenbuch oder Hardcover entschieden hat, sondern viel,ehr die besten Eigenschaften beider Formen in diesem Buch vereint haben: Es ist klein und handlich wie ein Taschenbuch, aber stabil wie ein Hardcover, nur ohne nervigen Schutzumschlag. Ich finde das großartig und hoffe, dass sich dieses Buchformat künftig öfter im Buchhandel findet. 

Nun aber von den äußeren zu den inneren Werten von „Kurt“. Nachdem ich bisher alle Bücher von Sarah Kuttner gelesen habe, wobei mir jedes ein bisschen besser und „180 Grad Meer“ schon überragend fand, war ich sehr gespannt, ob die Autorin mit ihrem neuen Werk nich einen drauf setzen kann. Mit einer gewissen Skepsis und auch Angst vor einer Enttäuschung habe ich mich also ganz zaghaft an „Kurt“ gewagt und ihn letztlich ganz und gar nicht zaghaft in Rekordzeit gelesen. Damit kann ich bereits vorweg nehmen: Oh ja, Sarah Kuttner kann mit ihrem neuen Roman absolut an „180 Grad Meer“ anknüpfen. Ich mache mir nun nur ein wenig Sorgen was das für ihr nächstes Buch bedeutet. Eigentlich ist es unmöglich „Kurt“ noch zu toppen, denn diese Geschichte ist so bewegend und voller Herzenswärme, dass man sie auch nachdem sie einem das Herz gebrochen hat, noch liebt.

Erzählt wird aus Lenas Perspektive, die mit ihrem Freund Kurt gerade ein altes Haus in Brandenburg gekauft hat, damit Kurts gleichnamiger Sohn ein neues, zweites Zuhause in der Nähe des Zuhauses seiner Mutter hat. Zu Beginn des Romans beschreibt Sarah Kuttner mit ihrem gewohnt feinem Humor, aber auch mit einer beeindruckenden Ernsthaftigkeit hinter der humorigen Fassade über die Kompliziertheit einer Patchworkfamilie. Sie – in der Rolle als Stiefmutter – sieht sich dabei immer wieder mit den gleichen Fragen konfrontiert: Wann darf ich mich in die Belange des kleinen Kurts einmischen? Soll ich mich einmischen? Darf ich mich einmischen? Wie ist man eine liebenswerte Stiefmutter ohne der leiblichen Mutter Konkurrenz zu machen? Und während man noch mit Lena Antworten auf all diese Fragen sucht, passiert plötzlich das Unvermeidliche (weil in der Buchbeschreibung bereits angekündigt): der kleine Kurt stirbt bei einem Unfall. Zurück bleibt eine Patchworkfamilie ohne Kind, in der Lena nicht nur mit ihrer Trauer um den kleinen Kurt zu kämpfen hat, sondern sich gleichermaßen Sorgen um den großen Kurt und seine Trauer macht, durch die er sich völlig von ihr abschottet. 

Dieses Buch zu lesen, tut weh. Richtig weh! Obwohl ich ein emotionaler Typ bin, weine ich sehr, sehr selten beim Lesen, sondern eher bei Musik oder Filmen. „Kurt“ hat mich gleich mehrfach zum Weinen gebracht und das auf so unaufdringliche, leise Weise. Es gibt hier keine Beerdigungszene mit einer rührenden Rede oder ausschweifende Rückblenden auf glückliche Tage mit dem kleinen Kurt. Was Sarah Kuttner stattdessen in fast schon zärtliche Worte fasst, ist schlicht und ergreifend die Realität. Es geht um ein Paar, dass sich durch die Trauer um Kurt entfremdet, um die immense Verunsicherung wie man mit Trauernden umgeht und darum wer welches Recht hat zu trauern. Die Art wie die Autorin über diesen Schmerz schreibt, ist unvergleichlich. Sie trifft mit ihrer Direktheit mitten ins Herz, immer mit der nötigen Ernsthaftigkeit, aber ohne Verbitterung oder Zynismus. In “Kurt” gibt es weder Kitsch noch Kalenderspruchweisheiten über den Tod. Stattdessen besticht dieser Roman durch seine Authentizität und die unbequeme Wahrheit über den Tod und den damit verbundenen Trauerprozess.

Zwei Dinge, die mir außerdem noch positiv an diesem Roman aufgefallen sind, sollen nicht unerwähnt bleiben. Zum einen wäre das die Rolle, die (gute!) Musik in der Geschichte spielt. Sarah Kuttner lässt ihre Protagonistin gelegentlich Songs hören, die zum Teil nur erwähnt, zum Teil auch in Auszügen zitiert werden. Stellt man sich die entsprechende Playlist zum Buch zusammen, hat man so die perfekte Geräuschkulisse zur Geschichte.

Und zuletzt: Dieses Buch ist die reinste Liebeserklärung an das Land Brandenburg! Immer wieder werden die Eigenheiten und schönen Seiten dieses Bundeslandes erwähnt. Es wachsen einem also nicht nur die Protagonisten dieses Romans ans Herz, sondern auch das Land Brandenburg. Neben all den Hauptstadtromanen und dem sonst üblichen Brandenburg-Bashing (Paradebeispiel: das Lied „Brandenburg“ von Rainald Grebe) ist das eine wohltuende Abwechslung, die den besonderen Status von „Kurt“ am zeitgenössischen Literaturhimmel nur unterstreicht.

 

Mein Fazit:

Bereits “180 Grad Meer” war ein sehr ernsthafter Roman mit dem von Sarah Kuttner gewohnt feinem Humor, mit “Kurt” wird das Ganze allerdings sowohl thematisch als auch emotional auf eine neue Stufe gehoben. Mit ihrem neuen Roman beweist die Autorin, dass man auch auf wenigen Seiten eine Geschichte erschaffen kann, deren Figuren dem Leser nicht nur ans Herz wachsen, sondern auch in der Lage sind, dieses Herz zu brechen. Glücklicherweise klebt Sarah Kuttner die Scherben auch wieder zusammen, so dass man nach Beendigung der Lektüre zwar fix und fertig ist, allerdings auf eine sehr, sehr gute Art. “Kurt” ist ein Roman, der bis ins Mark trifft und lange, wenn nicht sogar immer, nachwirkt. 

Vielen Dank an den S. Fischer Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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