|Rezension| Lügnerin – Ayelet Gundar-Goshen

von | Dez 9, 2017 | 0 Kommentare

Einer der besten Romane des Jahres

Verlag: Kein & Aber
Originaltitel: Ha-Schakranit we ha-Ir
Übersetzung: Helene Seidler
Gebundene Ausgabe: 24,00 Euro
Ebook: 19,99 Euro
Erscheinungsdatum: 04.10.2017
Seiten: 336

„Als älteste Tochter einer Sprachlehrerin wusste Nuphar sehr wohl, dass es nichts Ätzenderes gab als eine Person, die einen korrigierte. Als öffnete man den Mund eines anderes, während der noch kaute, klaubte den Bissen heraus, steckte ihn sich selbst in den Mund und demonstrierte, wie man richtig zu kauen habe. Worte gehörten, wie Essenshappen, zu der Zunge, auf der sie lagen.“ (S.27)

Worum geht´s?

Es gibt Leute, die schlagen mit der Faust auf die Theke, und es gibt Leute, die stehen dahinter und fragen: »Und was darf es für Sie sein?« Die Eisverkäuferin Nuphar Schalev gehört eindeutig in die zweite Kategorie: An dem Gesicht des Mädchens bleibt kein Blick länger hängen als notwendig. Doch als sie eines Tages ein Missverständnis zu einer Lüge formt, ändert sich alles, und sie rückt ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Im hellen Licht der Kameras blüht Nuphar auf, und mit ihr wächst und gedeiht die Lüge, und mit der Lüge wächst und gedeiht die junge Liebe zu Lavie Maimon, der im vierten Stock über der Eisdiele wohnt. Doch die Liebe ist etwas sehr Zartes, und die Wahrheit kann sie zertrampeln wie ein wildes Rhinozeros.

Cover und Titel

Bei diesem Buch war es die Kombination aus Covermotiv und Titel, die mich neugierig gemacht hat, was sich wohl dahinter verbirgt. Auf der einen Seite der bedrohliche Ein-Wort-Titel “Lügnerin”, der auch gut zu einem Thriller passen würde; auf der anderen Seite die Abbildung einer unschuldigen Eistüte, die in der Mitte des Covers prangt. Lediglich die Farbe der Eiskugel – schwarz – lässt erahnen, dass es sich hier wohl nicht um einen heiteren Sommerroman über eine Eisdiele handelt.

Mein Eindruck

Die ungewöhnliche Kombination von Titel und Cover lässt bereits erahnen, dass es sich hier um kein 0815 Geschichte handelt. Die isrealische Autorin Ayelet Gundar-Goshen, die bereits für Ihren Debütroman ausgezeichnet wurde, hat mich mit ihrer Art zu erzählen nicht nur von Beginn an mitgerissen, sondern meine Erwartungen mehr als übertroffen. Zugegebenermaßen hatte ich einige Bedenken, ob ich mit einem Setting in Israel zurecht käme, nicht nur was Personen- und Straßennamen betrifft, sondern auch was die kulturellen Unterschiede zur deutschen Lebensweise angeht, aber diese Bedenken haben sich spätestens nach den ersten 20 Seiten in Luft aufgelöst. Der Grund dafür ist vor allem die eindrucksvolle Sprache, derer sich die Autorin bedient und die die Übersetzerin (soweit ich das beurteilen kann) sehr gelungen ins Deutsche transportiert. Wow! Die Mischung aus ausdrucksstarker bildlicher Sprache und einer allwissende Erzählperspektive hat mich nachhaltig beeindruckt. Etwas derartiges habe ich bisher nicht gelesen. Trotz aller psychologischen Feinsinnigkeit und einer raffinierten Charakterstudie bleibt beim Leser eine gewisse Distanz zum Geschichte und den handelnden Figuren. Als Leser hat man nicht das Gefühl mitten in der Geschichte zu stecken. Man fühlt sich eher wie der stille Beobachter, was ich sehr reizvoll empfand.

Mit ihrer Geschichte der 17-jährigen Nuphar, die durch ein Missverständnis zur Lügnerin wird, wodurch sich ihr bisheriges Leben vollkommen ändert, gibt die Autorin – selbst Psychologin – einen spannenden Einblick in die Psychologie des Lügens. Ist etwas zu verschweigen schon eine Lüge? Gibt es einen Ausweg aus einer Lüge ohne als Lügnerin dazustehen? Was ist, wenn eine Lüge für eine Person nur Positives nach sich zieht, für eine andere aber das Gegenteil verheißt? Mit all diesen Fragen setzt sich Gundar-Goshen auf sehr unterhaltsame und intelligente Weise auseinander.

Interessant ist es auch wie die Autorin den Haupterzählstrang gelegentlich verlässt, neue Figuren und ihre Lügen einführt und beleuchtet, deren Weg sich irgendwann mit dem der Protagonistin kreuzt. Manche Lügen wiegen – objektiv betrachtet – schwerer als andere und trotzdem ist allen gemeinsam, dass der oder die Lügnerin nicht bereit ist, die Wahrheit zuzugeben – entweder weil diese das eigene Leben oder das eines anderes negativ beeinflussen würde. Damit bietet sich dem Leser ein faszinierender und unterhaltsamer Blick auf die verschiedenen Facetten des Lügens.

Mein Fazit:

“Mit “Lügnerin” von Ayelet Gundar-Goshen habe ich kurz vor Jahresende noch eines der besten Bücher des Jahres lesen dürfen. Die Sprachgewalt der Autorin gepaart mit einer originellen und unterhaltsamen Story, die einen spannenden Einblick in die Psychologie des Lügens gibt, machen diesen Roman zu einem ganz besonderen Lesevergnügen. Ich hoffe und wünsche mir, dass ihm noch viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird!

 

Vielen Dank an Kein & Aber für das Rezensionsexemplar.
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