|Rezension| Mein drittes Leben – Daniela Krien

von | Aug 27, 2024 | 0 Kommentare

Die Liebe im Ernstfall 

Verlag: Diogenes
Gebundene Ausgabe: 26,00 Euro
Ebook: 12,99 Euro
Erscheinungsdatum: 21.08.2024
Seiten: 304

„Ihre prüfende Blicke werden mich durchleuchten, sie werden eine stumme Bewertung meines Heilungsprozesses vornehmen, werden mich rücksichtsvoll, aber wie eine Patientin behandeln, eine von der man erwartet, dass sie sich etwas mehr Mühe gibt, ein bisschen besser mitmacht. Menschen ermüden vom Leid anderer Menschen. Sie verlieren die Lust, Rücksicht zu nehmen, wollen wieder selbst klagen dürfen. Sie sind heimlich wütend darüber, dass vor meinem Problem jedes ihrer eigenen Probleme verblasst.“ (S.112 f.)

Inhalt

Sie hat alles gehabt und alles verloren: Sekunden der Unachtsamkeit kosten ihre einzige Tochter das Leben. Tief sieht Linda in den Abgrund und wäre beinahe gefallen, doch da sind hauchfeine Fäden, die sie halten – die Hündin Kaja, die steten Handgriffe im Garten, das Mitgefühl für andere. Wie viel Kraft in ihr steckt, ahnt sie erst, als sie zurückfindet in einen Alltag und zu sich selbst.

Mein Eindruck

“Die Liebe im Ernstfall” ist eigentlich der Titel eines anderen Romans von Daniela Krien, aber er wäre für “Mein drittes Leben” ebenso passend gewesen, denn in ihrem neuesten Werk schildert die Autorin, was mit der Liebe im Ernstfall passieren kann. Der Ernstfall ist der Tod der einzigen Tochter von Linda und Richard. Wie geht ein Elternpaar mit diesem Verlust um? Was macht das mit ihrer Beziehung? Darüber schreibt Daniela Krien in ihrem fünften Roman in ihrem unverwechselbaren Stil, der sich stets durch eine schmerzhafter Klarheit und eine poetische Sprache auszeichnet. 

Die Autorin versteht es, die unangenehmen Themen anzupacken und scheut sich nicht, Wahrheiten auszusprechen, bis es weh tut. Aus der Sicht ihrer Protagonistin Linda schreibt sie über den Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen und legt dabei den Fokus auf den Prozess und die unterschiedlichen Arten des Trauerns. Während Linda nach dem Tod ihrer Tochter stückchenweise zu sterben scheint, findet ihr Mann nach und nach ins Leben zurück, so dass die Diskrepanz zwischen den Beiden immer größer wird. Besonders gut hat mir auch gefallen, wie die Autorin auf das Umfeld des Paares und deren Umgang mit den Trauerenden eingeht. Wie aus anfänglichem Verständnis und Mitgefühl irgendwann Unverständnis und die “Jetzt guck’ doch mal nach vorn!”-Attitüde wird und auch wie Fremde plötzlich zu Vertrauten werden während lange Vertraute zu Fremden werden.

Linda lässt ihre Trauer zu, gibt sich ihr hin und tut Dinge, für die andere kein Verständnis haben. Sie hat nicht nur ihr Kind verloren, sondern auch ihren Lebensmut. Sie widersetzt sich bewusst den Konventionen und der “Das Leben geht weiter”-Attitüde, auch wenn sie damit ihre Mitmenschen vor den Kopf stößt, allen voran ihren Ehemann. Es ist keine bewusste Entscheidung, die sie trifft. Sie kann nicht anders. Sie, die scheinbar alles hatte – eine gut funktionierende Patchworkfamilie, beruflichen Erfolg und eine gute Ehe verliert von einer Sekunde auf die andere durch eine Unachtsamkeit alles. Sie reflektiert, sie resigniert, sie hinterfragt. Und trotzdem ist “Mein drittes Leben” kein deprimierendes Buch. Daniela Krien gelingt es trotz aller Schmerzhaftigkeit, die in diesem Roman steckt, Hoffnung zu vermitteln. Es ist eine leise Hoffnung, aber sie ist spürbar und lässt einen das Buch am Ende bewegt, aber lächelnd zuklappen.

Mein Fazit:

Eigentlich bin ich keine Freundin des Deutschen Buchpreises, weil mir bisher alle ausgezeichneten Bücher nicht gefallen haben, aber ich finde, “Mein drittes Leben” hat die Nominierung für den Buchpreis 2024 sehr verdient! Für mich ist “Mein drittes Leben” der beste Roman, den ich je zum Thema “Trauer” gelesen habe, weil Daniela Krien wunderbare Worte für schmerzhafte Wahrheiten findet. Ich liebe Daniela Kriens “Schreibe” seit “Die Liebe im Ernstfall” und nach “Mein drittes Leben”, das eines meiner Jahreshighlights ist, nur umso mehr. 

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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