|Rezension| Nach einem Traum – Gina Schad

von | Sep 20, 2024 | 0 Kommentare

Schwacher erster und starker zweiter Teil

Verlag: Goya
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 19,99 Euro
Erscheinungsdatum: 16.03.2023
Seiten: 192

„Samstage sind meist okay, da ist sie oft mit Einkaufen und Putzen beschäftigt. Oder verabredet. Aber Sonntage sind Familientage. Sonntage sind am schlimmsten.“ (S.151)

Inhalt

Marie hat sich in Simon verliebt, und Simon sich in Marie. Aber Simon ist verheiratet und versucht, der körperlichen Anziehung zu widerstehen – dennoch finden sie eine Möglichkeit, sich einander nahe zu fühlen: im digitalen Raum.

Die beiden schreiben sich intensive Nachrichten. Mit der Zeit steigert sich Maries Sehnsucht nach Simon, nach Intimität, nach Kontrolle zu einem fieberhaften Bedürfnis. Immer tiefer taucht sie in den sozialen Medien in sein Leben ein und verliert dabei ihr eigenes aus dem Blick. Ihre Karriere als Cellistin und ihre Freundschaften treten hinter dem Bedürfnis zurück, nach versteckten Botschaften von Simon in seinen Stories und Posts zu suchen. Auch der Versuch, eine Beziehung mit dem musikbegeisterten Philipp einzugehen, scheitert.

Als Simon den Kontakt abbricht, fällt es Marie noch schwerer, loszulassen. Bald ist sie nicht mehr nur regelmäßig auf Simons Profil unterwegs, sondern auch auf denen seiner Frau und seiner Kinder. Marie bemerkt die Grenzüberschreitung und versucht, sich abzulenken, doch es ist wie verhext: Jedes Mal, wenn sie gerade etwas Distanz zu Simon bekommt, läuft sie ihm zufällig über den Weg. Oder sind ihre Begegnungen gar nicht so zufällig?

Mein Eindruck

Gina Schads “Nach einem Traum” hinterlässt bei mir einen gemischten Eindruck. Der Klappentext klang so spannend und als ich beim Blättern durch das Buch sah, dass Chatverläufe abgedruckt wurden, war ich umso mehr interessiert, musste ich doch gleich an meinen liebsten Briefroman “Gut gegen Nordwind” denken. Aber ein Briefroman ist “Nach einem Traum” nicht, sondern eher das Porträt einer Generation, in der Beziehungen über elektronische Medien begonnen und auch beendet werden.

Gina Schads Roman “Nach einem Traum” bietet eine Erkundung der emotionalen Verstrickungen, die sich aus modernen, oft flüchtigen Beziehungen entwickeln. Die Protagonistin Marie verliebt sich zu Beginn der Geschichte in Simon, und der erste Teil des Buches widmet sich dieser aufkeimenden Verbindung. Leider bleibt dieser Abschnitt deutlich hinter meinen Erwartungen zurück. Die Kommunikation zwischen Marie und Simon, die hauptsächlich über Chats verläuft, wirkt seltsam distanziert und emotionslos. Es fehlt an Tiefe und Intimität, die es der Leserschaft ermöglichen würden, die sich entwickelnden Gefühle der beiden nachzuvollziehen. Die Dialoge wirken mechanisch und die Bindung oberflächlich, sodass die entstehende Romanze schwer greifbar bleibt. Diese emotionale Leere erschwert es, sich mit Marie und ihrer plötzlichen Verliebtheit in Simon zu identifizieren. Anstatt ihre Anziehung nachvollziehbar zu gestalten, wirken die Interaktionen wie belanglose Gesprächsfragmente ohne echte emotionale Resonanz.

Doch der Roman erfährt eine bemerkenswerte Wendung im zweiten Teil, als Marie versucht, sich von Simon zu lösen. Hier entfaltet sich die eigentliche Stärke von “Nach einem Traum. Gina Schad fängt eindrucksvoll die innere Zerrissenheit von Marie ein, die zwischen Loslassen und Hoffen schwankt. In diesem Teil gelingt es der Autorin, den Schmerz und die Unruhe einer einseitigen Beziehung realitätsnah darzustellen. Sie beschreibt auf erschütternd authentische Weise, wie sehr man sich in eine solche Beziehung hineinsteigern kann – wie man sein gesamtes emotionales Wohlbefinden an die Erwartung einer Nachricht oder eines Likes knüpft. Dieser Teil des Romans bringt die existenzielle Unsicherheit ans Licht, die digitale Kommunikation in der modernen Welt oft mit sich bringt, und zeigt, wie stark das Bedürfnis nach Bestätigung und Aufmerksamkeit uns in den Bann ziehen kann, vor allem, wenn man sich daran gewöhnt hat. 

Schads Darstellung der inneren Kämpfe von Marie wirkt in diesem zweiten Abschnitt intensiv und erschütternd. Die Autorin verdeutlicht, wie man in der Stille der Nicht-Kommunikation gefangen sein kann, wie die kleinste Reaktion des anderen Hoffnung weckt und gleichzeitig neue Unsicherheiten schürt. Die permanente Anspannung, die Marie erlebt, wird fast greifbar. Es ist diese tiefe emotionale Verletzlichkeit, die im Kontrast zum emotionslosen Beginn des Buches einen starken Eindruck hinterlässt. Allerdings hätte ich mir ein spektakuläreres Ende gewünscht. Oder zumindest ein Ende, bei dem eine klare Entwicklungstendenz der Figuren sichtbar ist. Das war hier leider nicht der Fall.

Mein Fazit:

“Nach einem Traum” lässt mich mit ambivalenten Gefühlen zurück. Während der erste Teil durch seine Oberflächlichkeit und emotionslosen Dialoge enttäuscht, glänzt der zweite Teil durch seine Authentizität und emotionale Tiefe. Gina Schad zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie sehr man sich in eine vermeintliche Beziehung hineinsteigern kann, und vermittelt die ungesunden Mechanismen, die durch die Abhängigkeit von digitaler Kommunikation entstehen. 

Vielen Dank an den Goya Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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