|Rezension| Thomas und Mary – Tim Parks

von | Okt 17, 2017 | 0 Kommentare

 

Ein Eheroman, dem die weibliche Stimme fehlt…

 

 

Verlag: Kunstmann
Originaltitel: Thomas & Mary
Übersetzung: Ulrike Becker
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 15.02.2017
Seiten: 336

 

 

„Ich wollte glauben, er sei der brave Junge, der unschuldige Junge, der er war, als wir uns kennenlernten, der Junge, auf den ich mich verlassen konnte. Aber selbst ein Blinder hätte sehen können, dass etwas sich verändert hatte. Er war nicht mehr geradeheraus. Hier nähern wir uns vielleicht dem Prinzip hinter dem Schauerschloss unserer Ehe, bei dem unzählige Anbauten gemacht wurden, damit es bewohnbar blieb, obwohl man es schon Jahre zuvor hätte abreißen sollen, Die Ehe besteht nun mal aus Lügen. Freundlichen zumeist. Aus Verschweigen. Wenn man alles laut sagt, was man über seinen Partner denkt, zerquetscht man ihn zu Brei.“ (S.272)

 

 

Worum geht´s?

30 Jahre sind Thomas und Mary verheiratet. Sie haben zwei Kinder, einen Hund, ein Haus im Grünen. Aber nach Jahren des Auseinanderlebens kommt es – endlich – zu einer Entscheidung.
In dieser umgekehrten Liebesgeschichte erzählt Tim Parks, was passiert, wenn die Zuwendung und Hingabe, die ein Paar am Anfang füreinander hatte, sich verwandelt: in lange Spaziergänge mit dem Hund, in die Vermeidung, zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen, in Spannungen, wer die Kühlschranktür offen gelassen oder den Tisch nicht abgeräumt hat.
Zwischen Komödie und Tragödie pendelt dieser wunderbar leichte Roman, in dem 30 Jahre Ehe mit kühlem Kopf und warmem Herzen überprüft werden, die Abhängigkeiten, die Zärtlichkeit, der Verrat. Es ist die leidenschaftlich intime Chronik einer Ehe, die Tim Parks erzählt, wie sie vielen Leserinnen und Lesern bekannt sein dürfte. Und wie er die Ausläufer des schmerzlichen Verlusts schildert, der durch die ganze Familie geht, wenn das Paar im Grunde seiner Herzen beschlossen hat, dass es vorbei ist – das macht ihm keiner nach.

 

Cover und Titel

Das Cover von “Thomas & Mary” ist mir durch den überdimensionalen Titel sofort ins Auge gestochen, da es durch den Titel, der aus der Verbindung eines männlichen und weiblichen Vornamens besteht und die abgebildeten goldenen Eheringe unmissverständlich klar macht, dass es sich um einen Beziehungsroman handelt. Ich mag die schlichte Eleganz des Covers sehr, zumal diese für einen gewissen Anspruch der Geschichte steht und keine herkömmliche Liebesgeschichte zu erwarten ist. 

 

Mein Eindruck

Romane, in denen die Beziehung zwischen einem Paar über einen langen Zeitraum dargestellt wird, sprechen mich per se an – ob es sich dabei um eine klassische Liebesgeschichte mit Happy End oder eine Tragödie handelt, spielt für das Gefallen keine Rolle. Wichtig ist mir bei solch einem Roman vor allem Authentizität und die Möglichkeit mich in die Figuren einfühlen zu können. Gerade weil dieser Beziehungsroman von einem männlichen Autor aus mehrheitlich männlicher Perspektive geschrieben wurde, war ich neugierig, inwieweit sich diese beiden für mich wichtigsten Kriterien für einen guten Roman hier erfüllen.

Tim Parks erzählt auf knapp 350 Seiten genau das, was der Titel verspricht: Eine Geschichte über Thomas und Mary, die sich  im Laufe ihres Ehelebens immer mehr voneinander entfremden. Dabei hat Parks einen faszinierenden Blick für Momentaufnahmen und schildert Szenen einer Ehe, die wohl die meisten Paare so oder in ähnlicher Form schon erlebt haben. Besonders spannend ist dabei, dass hier komplett auf dramatische Ereignisse und unvorhersehbare Wendungen verzichtet wird. Stattdessen liegt der Fokus auf scheinbar unbedeutenden Alltagsszenen, die die Ehepartner schleichend zermürben. Feinsinnig und stellenweise analytisch wird dem Leser vor Augen geführt wie man eine Beziehung durch Schweigen und Unaufrichtigkeit zugrunde richten kann. Manchmal schweift Parks dabei für meinen Geschmack zu weit vom eigentlichen Thema ab, verliert sich in Details, die mit dem eigentlichen Ehedrama nichts zu tun haben und verzichtbar gewesen wären.

Wie aufgrund des männlichen Autors zu erwarten war, wird die Geschichte überwiegend aus Thomas Perspektive erzählt. Gelegentlich übernehmen aber auch Mary oder z.B. Thomas’ Eltern die Erzählperspektive. Diese Wechsel wirkten sehr willkürlich und nicht gut durchdacht. Hier hätte ich mir – wenn schon Perspektivwechsel – mehr Stringenz gewünscht. Dem Roman hätte die gleichberechtigte Stimme Marys gut getan, da der Leser dadurch ein weniger einseitiges Bild auf die Ehe der beiden bekommen hätte.

Überhaupt war ich mit dem Erzählstil nicht ganz glücklich. Die Sprache ist einfach, alltagstauglich und soll vermutlich dem Inhalt des Romans mehr Authentizität verleihen. Ich empfand den oft sehr nüchternen, fast schon berichtartigen Schreibstil insgesamt als anstrengend. Wenn ich schon eine derart unschöne Geschichte über eine Ehe lese, dann doch bitte wenigstens mit ein paar sprachlichen Highlights. Hinzu kommt, dass Thomas kein besonders sympathischer Protagonist ist. Auf Details möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen, weil das zu viel vom Inhalt verraten würde, aber Fakt ist: Thomas hat einige Charakterzüge, die es mir unmöglich gemacht haben, mich in ihn einzufühlen.

Mein Fazit:

“Thomas & Mary” ist ein Eheroman, der ohne dramatische Szenen und unvorhersehbare Wendungen auskommt und stattdessen den Fokus auf das Psychogramm des männlichen Protagonisten richtet sowie auf präzise Beobachtungen und kleine Momentaufnahmen. Mir hat für einen guten Roman die Stimme der weiblichen Protagonistin gefehlt sowie eine ansprechendere Sprache, die weniger berichtartig und mehr literarisch ist.

 

Vielen Dank an den Kunstmann Verlag für dieses Rezensionsexemplar.

 

 

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