|Rezension| Überall bist du – Gerhild Stoltenberg

von | Mai 2, 2017 | 0 Kommentare

Überall ist Liebeskummer

Verlag: Atlantik
Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 15,99 Euro
Erscheinungsdatum: 11.04.2017
Seiten: 272

„Tatsächlich hatte ich nicht viele gute Ideen, um über Tom hinwegzukommen. Und eine weitere besonders dumme war bestimmt, mit dieser anderen unglücklichen verflossenen Liebe zu schlafen. Das war ungefähr so schlau wie der Versuch, seine Crystal-Meth-Abhängigkeit mit Heroin in den Griff zu bekommen.“ (S.165)

Worum geht´s?

Wenn Martha geahnt hätte, dass Tom vom einen auf den anderen Tag aus ihrem Leben verschwinden würde, hätte sie ihn nachts geweckt, statt ihn nur anzuschauen. Sie wäre mit Tom nur U-Bahn statt Fahrrad gefahren, dann gäbe es in der Stadt jetzt weniger Orte, die sie mit ihm verbindet. Und sie hätte versucht, viel weniger mit ihm zu erleben, damit die Liste der Dinge, die sie so sehr an ihn erinnern, jetzt nicht so lang ist. Zum Glück gibt es den fünfjährigen Oskar und seine Brüder, die ihr die unausgesprochenen Gesetze des Spielplatzes erklären und mit denen sie unbeschwerte Sommertage im Freibad verbringt. Doch wenn der Liebeskummer so schlimm wird, dass nicht mal Winnie Puuh-Pflaster helfen, weiß selbst der sehr weise Oskar nicht mehr weiter. Martha muss sich eingestehen, dass sie nicht die besten Ideen hat, um über Tom hinwegzukommen, und entscheidet kurzerhand, alles hinter sich zu lassen.

Cover und Titel

Das Cover von “Überall bist du” ist einfach ein Traum! Als ich das Buch in der Verlagsvorschau entdeckte, stand sofort fest: “Das muss ich haben. Egal um was es geht”. Dieser leuchtende blaugrüne Hintergrund, der live noch viel schöner ist als auf den Abbildungen, gepaart mit dem schwarzen, verspielten Titel in der Mitte und den dezenten Zeichnungen am oberen und unteren Bildrand, die Hinweise auf bestimmte Aspekte der Geschichte geben, ist wirklich ein wunderschönes Gesamtkunstwerk.
Der Titel “Überall bist du” legt nahe, dass es sich beim Roman um eine Liebesgeschichte handelt. Das ist aber nur im weitesten Sinne der Fall, da es vielmehr um eine verlorene Liebe geht, was bereits der Klappentext verrät und wodurch ich nur noch neuigieriger auf Gerhild Stoltenbergs Geschichte war, da sie von dem üblichen “Kommen Sie am Ende zusammen?”-Muster abweicht.

 

Mein Eindruck

Einem Roman mit einem derart schönen Cover konnte ich einfach nicht wiederstehen. Doch hält die Geschichte was das Cover verspricht? Ja und nein.

Zunächst zum “nein”: Nach der Buchbeschreibung hatte ich eine Geschichte über einen verstorbenen Partner erwartet und nicht über einen, der seine Freundin sitzen lässt. Das ist gar nicht negativ gemeint, zeigt nur mit welchen unterschiedlichen Erwartungen man als Leser an einen Roman herangeht.

Erzählt wird aus der Ich-Perspektive der Verlassenen, von der man erst nach etwa 100 Seiten den Vornamen (Martha) erfährt. Damit ist “Überall bist du” eine sehr einseitige Geschichte einer Trennung. Die fehlende Männersperspektive ist in diesem Fall aber kein Manko, würde der Geschichte vielmehr ihren Reiz nehmen, da sich letztlich alles um die Frage dreht, warum Tom sie von einem Tag auf den anderen verlassen hat. Das sympathische an Gerhild Stoltenbergs Protagonistin: sie leidet. Und zwar nicht nur drei Tage. Wie oft liest man Romane über eine Trennung, in der dann gefühlt nach 3 Tagen alles halb so schlimm und die Frau wahnsinnig taff ist. Martha ist nicht taff. Martha ist am Ende. Einziger Lichtblick ist ihr neuer Job als Kindermädchen für drei Geschwister-Jungs. Obwohl Martha selbst keine Kinder hat, wächst sie in diese Aufgabe mit der Hilfe der Kinder, die sie förmlich anleiten, hinein. Dieser Erzählstrang ist voller Authentizität, Herzenswärme und Leichtigkeit, dass er dem sonst eher melancholischem Ton des Romans sehr gut tun. Etwas fragwürdig in Bezug auf die Glaubhaftigkeit fand ich die Rolle des 5-jährigen Oskars, der teilweise so altklug sprach wie ein 70-Jähriger. Trotzdem ist er eine Figur, die einem sofort ans Herz wächst. Diese überspitze Darstellung seines Charakters passt aber letztlich wieder zur ebenso überspitzt charakterisierten Protagonistin.

Gerhild Stoltenbergs Schreibstil hat mir von Beginn an sehr gut gefallen. In einfacher, aber dennoch anspruchsvoller und teilweise poetischer Sprache transportiert sie das Gefühlsleben ihrer Protagonistin auf sehr empathische und sensible Art. Man durchlebt mit Martha alle Phasen nach einer Trennung: Ungläubigkeit, Trauer, Wut und am Ende zum Glück auch wieder neuen Lebensmut. In “Überall bist du” steht also gar nicht die Paarbeziehung als solche im Vordergrund und die Gründe des Scheiterns sondern vielmehr das “Wie komme ich damit klar von einen auf den anderen Tag verlassen zu werden?” Diese Schwerpunktsetzung hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Obwohl ich Martha als sympathische und authentische Protagonistin empfunden habe, hat mir in einem entscheidenen Aspekt die Glaubwürdigkeit gefehlt: Bis zuletzt konnte ich nicht nachvollziehen warum sich Martha auf Tom, dessen Charakter doch ganz offensichtlich einige Defizite aufwies, eingelassen hat. Das hat mir die Lesefreude nicht verdorben, weil man Gefühle nun mal nicht steuern kann und sich deshalb auch in Menschen verlieben kann, die ganz offensichtlich nicht ganz koscher sind.

Ebenfalls als kritikwürdig empfand ich das Ende: Denn gerade weil Martha nach der Trennung so sehr und so lang gelitten hat, empfand ich da Ende als ziemlich oberflächlich. So als hätte die Autorin nach 250 Seiten keine Lust mehr auf Traurigsein gehabt und schwupps wurde der “happy”-Schalter umgelegt. Das ging mir dann doch zu schnell.

Mein Fazit:

“Überall bist du” ist ein lesenswerter über eine liebeskummergeplagte Frau, deren Gefühle ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen von Gerhild Stoltenberg in sehr schöne und authentische Worte verpackt werden. Trotz einiger kleiner Kritikpunkte habe ich den Roman gern gelesen und kann ihn als Lektüre für trübe Frühlingstage empfehlen.

 

Vielen Dank an den Atlantik Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
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