|Rezension| Halbinsel – Kristine Bilkau

von | Juli 14, 2025 | 0 Kommentare

Zwei Frauen, eine Leerstelle 

Verlag: Luchterhand
Gebundene Ausgabe: 24,00 Euro
Ebook: 21,99 Euro
Erscheinungsdatum: 19.03.2025
Seiten: 224

„Mir war klar, dass dies ein denkbar ungünstiger Moment war, hier, in der Wohnung, in der wir jetzt einpacken sollten, statt zu streiten. Aber so ist es, beides ist gleichzeitig möglich, die Erkenntnis über das eigene destruktive Verhalten und die Tatsache, dass man es trotzdem weitertreibt.“ (S.98)

Inhalt

Eine Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer. Hier, an der Nordsee, lebt Annett, Ende vierzig, seit vielen Jahren, hier hat sie nach dem frühen Tod ihres Mannes ihre Tochter Linn allein großgezogen. Linn, Mitte zwanzig, ist nach dem Abitur voller Energie in die Welt gezogen, hat sich in schwedischen und rumänischen Wäldern als Umweltvolontärin engagiert, arbeitet für ein Aufforstungsprojekt. Für Annett ist ihre Tochter die Verkörperung von Hoffnung, Sinn und Zukunft. Doch auf einer Tagung, während eines Vortrags kippt Linn um, Kreislaufzusammenbruch, Erschöpfung. Annett holt sie für eine Woche zu sich nach Hause, ans Meer, nahe Husum. Aus einer werden zwei, dann drei Wochen, dann Monate. Zerrieben zwischen Leistungsdruck und Sinnsuche, scheint Linn mit Mitte Zwanzig an einem Nullpunkt. Annett fühlt sich hilflos angesichts der Antriebslosigkeit ihrer Tochter. Mit der Zeit brechen Konflikte auf, zwischen Mutter und Tochter, aber auch zwischen zwei Generationen. Die eine muss die Lebenswirklichkeit der anderen neu verstehen lernen.

Mein Eindruck

Die letzten drei Romane von Kristine Bilkau habe ich alle gelesen, so war es nur logisch, dass ich auch “Halbinsel” zur Hand nehme. Aber dann gewann dieser Roman den Preis der Leipziger Buchmesse – und wer mir schon länger folgt, weiß: Buchpreis-Bücher und ich, das ist ein schwieriges Verhältnis. Zu oft empfinde ich sie als überambitioniert, sprachlich verkopft oder schlicht unverständlich. Doch Kristine Bilkaus Bücher mag ich. Also gab ich ihrem neuen Roman trotz meiner “Buchpreis-Bücher-Phobie” eine Chance – nicht zuletzt durch die Empfehlung zweier Kolleginnen.

Im Zentrum von “Halbinsel” steht die komplexe Beziehung zwischen Mutter und Tochter: Annette, Mitte 50, lebt seit Jahren allein an der Ostseeküste. Ihr Mann – und Linns Vater – ist früh verstorben. Linn, Anfang 20 und eigentlich in Berlin zu Hause, kehrt nach einer persönlichen Krise zurück in ihr Elternhaus. Die alte Dynamik zwischen den beiden Frauen lebt neu auf, diesmal unter anderen Vorzeichen. Nähe, Distanz, Erwartungen und Enttäuschungen stehen unausgesprochen im Raum. Die Leserschaft begleitet beide Figuren abwechselnd durch ihre Perspektiven und Gedankenwelten – was dem Roman Tiefe und Vielschichtigkeit verleiht.

Was Bilkau besonders gut gelingt, ist die feine Spiegelung der Rollenbilder und Fürsorgestrukturen. Annette erlebt mit der Rückkehr ihrer erwachsenen Tochter eine Art Deja-vu: Die Sorgen, die sie einst um Linn als Kleinkind hatte – ob sie isst, schläft, rausgeht, glücklich ist – kehren nun in anderer Form zurück. Doch diesmal fehlen die Routinen, die Gewissheiten junger Elternschaft. Die Mutterrolle muss neu definiert werden – loslassen, ohne sich abzuwenden. Linn wiederum schwankt zwischen dem Bedürfnis nach Schutz und dem Wunsch nach Selbstständigkeit. Diese Ambivalenz bringt Bilkau ruhig, aber eindringlich auf den Punkt: Wie verändert sich Fürsorge, wenn das Kind längst erwachsen ist? Und wie lebt man unter einem Dach, wenn jede Nähe zugleich auch eine Reibung ist?

Neben der Mutter-Tochter-Beziehung rückt Bilkau ein weiteres zentrales Thema in den Fokus: die verdrängte, nie ganz verarbeitete Trauer um den früh verstorbenen Vater. Er ist allgegenwärtig, obwohl kaum über ihn gesprochen wird – ein rosa Elefant, der immer wieder durch die Räume des Hauses zieht. Die Leerstelle, die dieser Verlust hinterlassen hat, wird im Laufe der Geschichte immer wieder thematisiert-

Was mir an Halbinsel wieder so gut gefallen hat wie in Bilkaus früheren Romanen (Eine Liebe, in GedankenDie GlücklichenNebenan): ihre klare Sprache. Die norddeutsche Zurückhaltung, die sich in ruhigen, unaufgeregten Sätzen spiegelt, mag ich sehr. Bilkaus Stil lebt von den Zwischentönen. Von einem genauen Blick auf das Alltägliche. Von melancholischer Präzision, ohne Kitsch, ohne Pathos. Sie übertreibt nicht, sie beobachtet – und das sehr genau.

Es ist ein stilles Buch, das nachwirkt. Kein Pageturner, kein emotionales Drama, sondern ein feinsinniges Porträt zweier Frauen, die versuchen, sich selbst und einander wieder näherzukommen.

Mein Fazit:

“Halbinsel” ist ein leises, kluges und atmosphärisches Buch über eine Mutter-Tochter-Beziehung, über Verlust, Nähe und das Leben mit der Trauer. Wer Kristine Bilkaus bisherigen Stil mochte, wird sich auch in diesem Roman sofort zu Hause fühlen. Und ja – manchmal lohnt es sich doch, einem Buchpreis-Buch eine Chance zu geben.

 
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