|Rezension| Das Liebespaar des Jahrhunderts – Julia Schoch
So viele gute Sätze!
„Vielleicht ist nicht nur das Aussprechen einer Absicht der abgeschossene Pfeil. Vielleicht ist es bereits der Gedanke. Nicht nur, was man sagt, auch was man denkt, ist in der Welt. Weil fast alles, was gedacht wird, irgendwann auch getan wird. Getan werden muss. Es ist wie ein Zwang. Die Realität ist nur der Kollateralschaden sämtlicher Einfälle, die jemals gedacht worden sind, ihr unvermeidliches Nebenprodukt.“ (S.103)
Inhalt
Wo geht die Liebe hin, wenn man sagt, sie ist verschwunden?
Eine Frau will ihren Mann verlassen. Nach vielen Jahren Zusammenleben und Ehe ist sie entschlossen und bestürzt zugleich: Wie konnte es nur dazu kommen? Während sie ihr Fortgehen plant, begibt sie sich in ihren Gedanken weit zurück. Da waren die rauschhaften Jahre der Verliebtheit, an der Universität, zu zweit im Ausland und später mit den kleinen Kindern, aber da gab es auch die Kehrseite – Momente, die zu Wendepunkten wurden und das Scheitern schon vorausahnen ließen. Doch ist etwas überhaupt gescheitert, wenn es so lange dauert? Julia Schoch legt frei, was im Alltag eines Paares oft verborgen ist: die Liebesmuster, die Schönheit auch in der Ernüchterung. Ein Loblied auf die Liebe.
Mein Eindruck
An einem Roman mit dem Titel “Das Liebespaar des Jahrhunderts” kam ich nicht vorbei. Erst recht nicht, wenn er von Julia Schoch ist und ich den ersten Teil des Trilogie “Die Biographie einer Frau” hier im Regal stehen habe.
Eins muss ich vorweg nehmen: Der Titel weckt vielleicht bei einigen Interessierten falsche Erwartungen. Sollte man aufgrund des mondänen Titels “Das Liebespaar des Jahrhunderts” einen klassischen Liebesroman erwarten, wird man vermutlich enttäuscht sein, denn Julia Schochs zweiter Teil der Trilogie ist vielmehr ein Anti-Liebesroman. Ich habe in einer Rezension gelesen, dass dies noch keine Liebe wäre, die hier beschrieben wird. Die Beziehung zwischen der namenlosen Ich-Erzählerin und ihrem Mann wäre viel zu nüchtern, dass man da von Liebe reden könnte. Nun, ich schätze, dass man diesem Buch nur etwas abgewinnen kann, wenn man entweder in einer langjährigen, unglücklichen Beziehung steckt oder eine ebensolche hinter sich gelassen hat.
Interessant ist, dass die Erzählweise dieses Romans. Er liest sich, als würde die Ich-Erzählerin ein Resümee ihrer Beziehung für ihren Mann schreiben, den sie direkt anspricht. Es gibt Sätze in diesem Buch, die sich aufgrund ihrer Schonungslosigkeit und Kompromisslosigkeit in meinen Kopf eingebrannt haben. Schon auf der ersten Seite gibt es mehrere solche Formulierungen, wo ich beim Lesen innehalten musste und einfach nur “Wow!” dachte. Julia Schoch ist eine brillante Schriftstellerin – das sollte jedem klar sein, nachdem er nur die erste Seite gelesen hat.
Im weiteren Verlauf der Geschichte seziert sie den Untergang einer Beziehung und beschreibt dabei die Entfremdung zweier Menschen mit entlarvender Ehrlichkeit. Trotz aller Tristesse, die diese Thematik zwangsläufig mit sich bringt, hatte ich nicht das Gefühl, dass Julia Schoch ihre Leserschaft desillusionieren will. Vielmehr regt das Buch dazu an, sich selbst und seine Erwartungen zu reflektieren. Was heißt es, jemanden zu lieben? Wann ist der point of no return in einer Beziehung erreicht? Welche (Langzeit-)Wirkung haben einmal ausgesprochene Worte?
Ich habe diesen Roman wirklich sehr, sehr gern gelesen und lange nicht mehr so viele Textstellen markiert wie in “Das Liebespaar des Jahrhunderts”, allerdings hat mich das Ende derart die Augen aufreißen lassen, dass ich es gleich nochmal lesen musste, weil ich dachte, ich hätte irgendeinen wichtigen Hinweis verpasst, so dass die Situation doch anders ist als sie auf den ersten Blick scheint. Ich kann hier wegen der Spoilergefahr nicht ins Detail gehen. Nur so viel: WARUM DIESES ENDE? NEIN, NEIN, NEIN! Trotzdem habe ich nicht bereut, diesen Roman gelesen zu haben, allein deshalb nicht, weil Julia Schoch wirklich eine großartige Schriftstellerin ist. Aber das Ende hat den Gesamteindruck leider echt erheblich runtergezogen.
Mein Fazit:
“Das Liebespaar des Jahrhunderts” ist ein sehr, sehr kluger Roman über die Entfremdung eines Liebespaars, der lange im Kopf bleibt – nicht nur wegen des aus meiner Sicht unpassenden Endes. Der Schreibstil der Autorin ist minimalistisch und kompromisslos, dabei aber so treffsicher in den Formulierungen, dass es einen umhaut. Klare Leseempfehlung für Menschen in einer langjährigen, unglücklichen Beziehung oder für jene, die eine solche bereits erlebt haben.