|Rezension| Die Unvollkommenheit der Liebe – Elizabeth Strout

von | Mai 17, 2020 | 0 Kommentare

Ein Roman über die Liebe, aber kein Liebesroman…

 
Verlag: Luchterhand
Originaltitel: My name is Lucy Barton
Übersetzung: Sabine Roth
Gebundene Ausgabe: 18,00 Euro
Taschenbuch: 10,00 Euro
Ebook: 15,99 Euro
Erscheinungsdatum: 29.08.2016
Seiten: 208

„Als ich nach dem Abschied von meinem Vater – und ein Jahr zuvor dem von meiner Mutter, dem Abschied von ihnen beiden – nach New York zurückkam, veränderte die Welt ihr Gesicht. Mein Mann wurde mir fremd, meine heranwachsenden Kinder schienen so vielem an mir gleichgültig gegenüberzustehen. Ich fühlte mich vollkommen schutzlos. Immer neue Panik ergriff mich, als hätte ich an meiner Familie – an uns fünf Bartons, verkorkst wie wir waren – einen Halt gehabt, den ich nie gespürt hatte, bis er plötzlich wegfiel.“

Inhalt

Als die Schriftstellerin Lucy Barton längere Zeit im Krankenhaus verbringen muss, erhält sie Besuch von ihrer Mutter, die sie jahrelang nicht mehr gesehen hat. Zunächst ist sie überglücklich. Doch während sie der Stimme ihrer Mutter lauscht, die ihr Geschichten von den Leuten aus der Heimat erzählt, während Mutter und Tochter ein neues Band zu formen scheinen, kommen Erinnerungen wieder hoch, die sie längst hinter sich gelassen zu haben glaubte … Elizabeth Strouts Roman ist ein psychologisches Meisterstück, zutiefst menschlich und berührend. Er erzählt die Geschichte einer Frau, die trotz aller Widrigkeiten ihren Weg geht, eine Geschichte über Mütter und Töchter und eine Geschichte über die Liebe, die, so groß sie auch sein mag, immer nur unvollkommen sein kann.

Mein Eindruck

Nicht immer ist da, wo Liebe drauf steht, auch Liebe drin. Umgekehrt kann aber auch eine Bindung bzw. eine Beziehung, die nicht nach Liebe aussieht, in der die Gefühle nie thematisiert werden, Liebe sein. Die Unvollkommenheit von Liebe ist das Thema des gleichnamigen Romans von Elizabeth Strout.

Es gibt Romane, die werden unglaublich gehypt und man fragt sich nach dem Lesen warum eigentlich. Es gibt auch Romane, die werden gehypt und nach der Lektüre stellt man fest, dass all die Lobeshymnen tatsächlich gerechtfertigt sind. Dann gibt es aber auch Romane, auf die man ganz zufällig stößt und man sich nach der Lektüre fragt: Warum zur Hölle ist das kein Bestseller? So erging es mir mit Elizabeth Strouts “Die Unvollkommenheit der Liebe”.

Als das Buch 2016 erschien, habe ich es mir auf den Wunschzettel gesetzt, weil ich Cover und Titel großartig fand. Die Inhaltsbeschreibung hat in mir hingegen kein “Muss ich unbedingt lesen” ausgelöst, so dass es letztes Jahr wieder von der Wunschliste flog. Zum Glück hat Nicole von Nacht und Tag Blog aber kürzlich so von Elizabeth Strout geschwärmt, dass ich mir vornahm, auch mal etwas von ihr zu lesen. Ich entschied mich schließlich für den damals schon vorgemerkten Titel.

In einem sehr klaren und reduzierten Stil erzählt die Autorin in diesem Roman die Geschichte einer New Yorker Schriftstellerin, die bei einem langen Krankenhausaufenthalt über ihr Leben, ihre Kindheit und vor allem über die Beziehung zu ihrer Mutter sinniert. Lucy Bartons Familie kann man durchaus als verkorkst bezeichnen: Sie wächst in sehr ärmlichen Verhältnissen auf, in denen ihre Eltern ihr nie Liebe zeigen, geschweige denn diese verbalisieren. Als erwachsene Frau (verheiratet, zwei Kinder) hat sie nur sporadischen Telefonkontakt zu ihnen und ihren zwei Geschwistern. Und doch steht plötzlich ihre Mutter an ihrem Krankenbett und erzählt ihr scheinbaren belanglosen Klatsch und Tratsch von Menschen aus ihrem Heimatort.

Spannend ist nicht unbedingt, was Strout erzählt, denn es gibt keine dramatischen Ereignisse oder spektakuläre Wendungen, sondern wie sie erzählt. Sie wirft einen sezierenden Blick auf die Entwicklung eines Menschen und dessen Beziehungen. Bei all ihren Figuren handelt es sich nicht um bestimmte Typen, sondern um authentische Charaktere, die Fehler machen, welche von der Autorin nicht bewertet werden. Diese Distanz zum Erzählten macht es dem Leser möglich, sich sein eigenes Bild zu machen.

Obwohl Elizabeth Strouts Erzählstil sich durch eine beeindruckende Knappheit auszeichnet, gelingt es ihr, den Leser durch leise Töne, treffsichere Formulierungen und die aus dem Leben gegriffenen Figuren zu berühren. Diese Menschlichkeit des Romans verbunden mit seinem Tiefgang haben ihn für mich zu einer unvergesslichen Lektüre gemacht. 

Mein Fazit:

Ich habe mich aufgrund seiner äußeren Werte für diesen Roman entschieden. Letztlich haben mich seine inneren Werte aber überraschenderweise noch viel mehr überzeugt. Nach gerade einmal 208 Seiten bin ich ein Elizabeth Strout-Fangirl. Nicht nur das Leben der Protagonistin Lucy Barton und die ungewöhnliche Beziehung zu ihrer Mutter hat mich berührt, sondern vor allem die Art, wie die Autorin diese Geschichte auf unprätentiöse, treffsichere Weise erzählt – stets das Thema “Liebe” latent im Hintergrund, ohne es je in den Vordergrund zu heben. Es ist ein Roman über die Liebe, aber kein Liebesroman. 

 
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