|Rezension| Genau so wie es immer war – Claire Lombardo
Ein Jahreshighlight!
„Nur wenige Minuten zuvor war sie ein wenig traurig darüber gewesen, mit ihrer guten Nachricht ganz allein zu sein – es war im Grunde noch trauriger, als mit einer schlechten Nachricht allein zu sein -, aber am traurigsten wäre es, ihrer Mutter alles zu erzählen und dann eine lauwarme Reaktion zu erhalten.“ (S.620)
Inhalt
Glück ist ein vorübergehender Zustand – Familie bleibt ein Leben lang
Manchmal kann Julia Ames es gar nicht fassen, was für ein unwahrscheinlich schönes Leben sie führt. Mit Mark hat sie seit Jahrzehnten einen liebenden Ehemann an ihrer Seite, zusammen haben sie zwei Kinder in die Welt gesetzt, auf die sie stolzer nicht sein könnte. Doch Glück ist nur ein vorübergehender Zustand, wie Julia schnell feststellen muss – Familie bleibt einem hingegen ein Leben lang erhalten.
Sohn Ben schockiert seine Eltern bei einem Besuch mit einer folgenschweren Nachricht. Tochter Alma ist kurz davor, aufs College zu gehen, was eine ungewohnte Angst vor dem leeren Nest in Julia weckt. Und beim Einkaufen trifft Julia zufällig auf eine Frau, die sie seit fast 20 Jahren nicht mehr gesehen hat – einst war die mütterliche Freundin ihre Rettung, bevor sie einer Katastrophe den Weg ebnete. Gefangen zwischen ihrer bewegten Vergangenheit und der chaotischen Gegenwart verliert Julia zunehmend die Kontrolle.
Mein Eindruck
Als ich in der Herbstvorschau entdeckte, dass ein neuer Roman von Claire Lombardo erscheint, war sofort klar, dass ich ihn lesen muss. Ihr Debüt “Der größte Spaß, den wir je hatten” hat mich tief beeindruckt, und dementsprechend gespannt war ich auf “Genau so, wie es immer war”. Natürlich bergen 720 Seiten das Risiko, dass sich Längen einschleichen und das Lesen zur Geduldsprobe wird. Doch nicht bei Claire Lombardo! Sie hat es erneut geschafft, mich über 700 Seiten hinweg zu fesseln und mir am Ende das Gefühl zu geben, dass keine einzige Seite überflüssig war. Jede davon nutzt sie, um das Leben ihrer Protagonistin Julia in all seinen Facetten zu beleuchten.
Die Geschichte wird in auktorialer Erzählweise aus Julias Sicht erzählt, und das auf zwei Zeitebenen – Gegenwart und Vergangenheit – die sich immer wieder abwechseln. Julia ist seit 30 Jahren verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und scheint auf den ersten Blick alles zu haben, was man für ein erfülltes Leben braucht. Doch nach einer Begegnung mit einer alten Freundin erfahren wir Stück für Stück Details aus ihrer Vergangenheit, die ihre Gegenwart in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dabei rücken verschiedene Themen in den Fokus, insbesondere Julias Kampf, sich als junge Frau in ihrer Mutterrolle zurechtzufinden. Ihr Wunsch, es besser zu machen als ihre eigene Mutter, das Ausbrechen und Zurückkehren, ihr Scheitern und Wiederaufstehen – all das zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Besonders berührend fand ich, wie sie oft nach außen hin gute Miene zum bösen Spiel macht, obwohl in ihrem Innersten vieles im Argen liegt. Gemeinsam mit Julia – einer faszinierend ambivalenten Figur – durchleben wir ihre Vergangenheit, begleiten sie in der Gegenwart und werfen am Ende sogar einen Blick in ihre Zukunft. Apropos Ende: Es war grandios! Originell, überraschend und absolut stimmig – meiner Meinung nach hätte es nicht besser sein können.
Neben den vielschichtigen Themen dieses Romans haben mich vor allem Claire Lombardos tiefe Empathie für ihre Figuren und ihre schonungslose Ehrlichkeit beim Erzählen beeindruckt. Meisterlich zeigt sie die komplexe Gefühlswelt einer Frau über Jahrzehnte hinweg, beleuchtet gleichermaßen die scheinbar unbedeutenden und bedeutsamen Momente ihres Lebens und macht deutlich, dass Glück oft nur eine flüchtige Momentaufnahme ist.
Mein Fazit:
Claire Lombardo gelingt es mit “Genau so, wie es immer war”, erneut ein literarisches Meisterwerk vorzulegen, das mit Tiefe, Empathie und Ehrlichkeit besticht. Über 700 Seiten hinweg fesselt sie die Leserschaft mit der komplexen Charakterstudie einer Frau, die viel Identifikationspotenzial bietet. Lombardo zeigt eindrucksvoll, dass es möglich ist trotz aller Herausforderungen des Lebens, auf die man nur bedingt Einfluss hat, Glück zu empfinden – wenn auch nur vorübergehend…