|Rezension| Nicht weg und nicht da – Anne Freytag

von | Mai 30, 2022 | 0 Kommentare

Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, endet nicht nur seines.

Verlag: heyne fliegt
Gebundene Ausgabe: 16,00 Euro
Ebook: 12,99 Euro
Erscheinungsdatum: 19.03.2018
Seiten: 480

„Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, endet nicht nur seines. Er zerstört das gesamte Gefüge. Die Ordnung. Das Gleichgewicht. Wie eine Druckwelle, nachdem eine Bombe detoniert. Was bleibt, ist emotionale Verwüstung. Alles sagen, man soll reden. Aber das ändert nichts. Über den Tod zu sprechen, kann ihn nicht rückgängig machen. Man verursacht nur, Worte zu finden, wo sie einem fehlen.“ (S.163)

Inhalt

Nach dem Tod ihres Bruders macht Luise einen radikalen Schnitt: Sie trennt sich von ihrem mausgrauen Ich und ihren Haaren. Übrig bleiben drei Millimeter und eine Mauer, hinter die niemand zu blicken vermag. Als Jacob und sie sich begegnen, ist er sofort fasziniert von ihr. Doch Luise hält Abstand. Bis sie an ihrem sechzehnten Geburtstag aus heiterem Himmel eine E-Mail von ihrem toten Bruder bekommt – es ist die erste von vielen. Mit diesen Nachrichten aus der Zwischenwelt und dem verschlossenen Jacob an ihrer Seite gelingt es Luise, inmitten dieser so aufwühlenden wie traurigen Zeit das Glitzern ihres Lebens zu entdecken …

Mein Eindruck

Wie schön ist bitte dieses Buch? Dieses Cover ist ein Traum! Als Anne Freytag-Fangirl der ersten Stunde hätte ich diesen Roman eigentlich sofort nach dem Erscheinen im Frühling 2018 lesen müssen und trotzdem habe ich vier Jahre dafür gebraucht. Warum? Erst war es nicht das richtige Büch für die Zeit damals und dann war es das komplett falsche Buch für die nachfolgenden Jahre. Das Thema Suizid habe ich sehr bewusst sehr weit umschifft. Aber nun hatte mir eine Freundin, der ich von meinem “Mich lassen gerade alle Bücher kalt”-Problem erzählte, “Nicht weg und nicht da” ans Herz gelegt. Tja, was soll ich sagen: Dieser Roman für Jugendliche hat mich ganz und gar nicht kalt gelassen. Ganz im Gegenteil: Ich habe endlich wieder etwas gefühlt und zwar das volle Programm: Aufregung, Glück, aber auch Trauer, Wut und Angst.

In einem Essay von Anne Freytag heißt es: “Alle 53 Minuten nimmt sich ein Mensch das Leben. Jeder von ihnen hinterlässt ein zerrissenes Gefüge. Versprengte Einzelteile, die sich neu sammeln und zusammenfügen müssen. Luise ist so eins.” Eigentlich muss man über den Inhalt dieses Romans gar nicht mehr wissen. Anne Freytag legt den Fokus ihrer Geschichte auf das zerrissene Gefüge: Wie erleben Hinterbliebene eines Menschen, der Suizid begangen hat, die Zeit danach? Wie trauert man richtig? Gibt es das überhaupt? “Richtig trauern”? Die Autorin geht sehr sensibel mit dieser Thematik um, aber nicht zurückhaltend. Es wird nichts beschönigt oder ausgelassen.

Die zarte Liebesgeschichte von Luise und Jacob nimmt dem Roman die Schwere und bildet den perfekten Rahmen für den Kern des Romans. Die gewohnt klare, berührende Sprache der Autorin zieht den Leser ebenso in ihren Bann wie die realistischen Figuren und ihre komplizierten Beziehungen zueinander. Ob die Liebesgeschichte zwischen Luise und Jacob, die Geschwisterbeziehung zwischen Luise und Kristopher oder zwischen Arthur und Jacob – jedes dieser Beziehungsgeflechte ist für sich genommen spannend und macht in dieser Kombination den besonderen Reiz des Romans aus.

Mein Fazit:

Anne Freytags “Nicht weg und nicht da” ist ein sehr berührender, traurig-schöner Roman, der mich erst durch seine wunderschöne Optik und dann durch seinen sensiblen Umgang mit einem schweren Thema, die liebevoll entwickelte Figuren und ihre Beziehungen zueinander und nicht zuletzt durch die wunderschöne Playlist zum Buch nicht nur überzeugt, sondern vor allem auch sehr bewegt hat. Danke Anne, fürs “endlich wieder etwas beim Lesen fühlen”!

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