|Rezension| Pasteurgasse 4, täglich – Andrea Landfried

von | Jun 7, 2023 | 0 Kommentare

Wenn Frauen lieben…

Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 30.03.2023
Seiten: 192

„Ich sah damals nicht, was um mich herum geschah, ich war nur im Innen. Ruth hatte mich in dieses Innen gezogen, und da war es viel schöner und interessanter als im Außen (…) Fast wie ein Junkie, der sich nur noch für seine Rauschzustände interessiert und dem alles um ihn herum und alles Äußere wie sein Aussehen und sein Essen und seine Arbeit egal sind, zu so einem Junkie hat Ruth mich gemacht. Dass ich eigentlich nur noch dahin zurückwill, innerlich, wo ich mit Ruth war, in diese warme und ja: ekstatische Welt.”  (S.52)

Inhalt

Eine junge Gesangsstudentin in Wien verliebt sich in die verheiratete Fotografin Ruth. Jeden Tag, bevor Ruth ihre Tochter von der Schule abholt, teilen sie genau zweieinhalb Stunden miteinander, zwei Jahre lang. Zu Beginn ihrer sinnlichen Erkundungen hatte Ruth sie gewarnt: Das Einzige und zugleich Wichtigste, was sie ihr versprechen könne, sei, dass sie ihr nichts vormachen werde. Eine Frau begleitet ihren Mann zu dessen Forschungsaufenthalt nach Kalifornien. Dort lernt sie die wesentlich ältere Angela kennen. Trotz der vielen Jahre und Kilometer, die sie trennen, entsteht eine zerbrechliche erotische Nähe zwischen ihnen. Sarah verfällt ihrer Psychotherapeutin. Als Sarahs Verhalten immer obsessiver wird, lässt die Therapeutin sie gegen ihren Willen einweisen, ein psychiatrischer Höllentrip beginnt. Bei einem Besuch im Sanatorium rät man ihr: »Und jetzt lässt du es dir mal richtig gut gehen.« Andrea Landfried entwirft drei Variationen weiblichen Begehrens, das zugleich ein Aufbegehren ist, gegen soziale Zwänge und psychische Muster, gegen Rollenerwartungen. Die Sehnsucht der Frauen, wirklich zu sehen und gesehen zu werden, sich zu öffnen, triumphiert immer wieder über die Angst, aus dem gesellschaftlichen Rahmen zu fallen. Die Frauen gehen das Wagnis ein, sich zu zeigen und alles zu fühlen – eines der größten Wagnisse im Leben.

Mein Eindruck

Ich habe mich völlig blind in die Lektüre von “Pasteurgasse 4, täglich” gestürzt und war nach dem Ende der ersten Geschichte, die zugleich die namensgebende Erzählung ist, überrascht, dass es sich bei dem Buch um keinen Roman handelt. Thematisch sind die Erzählungen insofern verbunden als dass sie sich um Sehnsüchte von Frauen, die Frauen lieben, drehen. In jeder Erzählung steht eine Frau im Zentrum, die eine andere Frau begehrt. In jeder Erzählung gibt es ein Machtgefälle zwischen den Frauen. Dabei ist die Erzählerin immer diejenige, die eine Frau begehrt, die vermeintlich über ihr steht. Dass sich dadurch keine gesunde Liebesbeziehung entwickelt, ist vorprogrammiert.

Ich finde Andrea Landfrieds Ansatz spannend: Kennt man solche Konstellationen in der Literatur doch bisher nur über heterosexuelle Beziehungen, in denen zumeist der Mann über der Frau steht, ist das Ungleichgewicht hier nicht abhängig vom Geschlecht und spielt auch eher eine untergeordnete Rolle. 
Vielmehr geht es um die unterschiedlichen Facetten von Liebe, um unerfüllte Sehnsüchte und Formen der Seelenverwandtschaft. Alle drei Frauen wollen sich spüren, wollen gesehen werden und haben zugleich Angst vor den (gesellschaftlichen) Konsequenzen. Es finden sich viele kluge Gedanken über die Liebe – unabhängig vom Geschlecht – in diesem dünnen Büchlein. Allein deshalb habe ich es gern lesen. 
Von den drei Geschichten hat mir die zweite am besten gefallen, in der sich eine verheiratete Frau während einer Geschäftsreise ihres Mannes, auf die sie ihn begleitet, in eine deutlich ältere Frau verliebt. Die beiden trennt nicht nur ein großer Altersunterschied, sondern bald auch wieder ein Kontinent. Die Zartheit in dieser Beziehung auf der einen Seite und Intensität der Gefühle auf der anderen Seite waren faszinierend. 
 
Beeindruckt hat mich auch, dass die Autorin jede Erzählung in einem eigenen Stil schreibt und sie so deutlich voneinander abgrenzt. Der Erzählton ändert sich, auch die Erzählperspektive ändert sich. Dies hat allerdings auch zur Folge, dass mir nicht jede Geschichte gefallen hat. Die dritte Geschichte, in der sich eine psychisch labile, junge Frau in ihre Psychotherapeutin verliebt, hatte für mich recht schnell die Grenze der Glaubhaftigkeit überschritten und wirkte zu konstruiert und abstrus. 
 
 

Mein Fazit:

“Pasteurgasse 4, täglich” ist eine interessante Lektüre über das weibliche Begehren, die viele Denkanstöße gibt. Ich fand eine Geschichte sehr gut, eine gut und eine weniger gut. Ich möchte definitiv noch mehr von der Autorin lesen – am liebsten einen Roman. Als Appetithappen war dieses Büchlein gut. Als Hauptspeise ist es jedoch eher ungeeignet. Ich möchte mehr!

 
Vielen Dank an die Frankfurter Verlagsanstalt für das Rezensionsexemplar.
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