|Rezension| Strafe – Ferdinand von Schirach

von | Apr 1, 2020 | 0 Kommentare

Intensive und präzise Erzählkunst: Stories, die man nicht mehr vergisst

Verlag: Luchterhand
Gebundene Ausgabe: 18,00 Euro
Ebook: 8,99 Euro
Erscheinungsdatum: 05.03.2018
Seiten: 192

„Ich dachte, ein neues Leben wäre leichter, aber es wurde nie leichter. Es ist ganz gleich, ob wir Apotheker oder Tischler oder Schriftsteller sind. Die Regeln sind immer ein wenig anders, aber die Fremdheit bleibt und die Einsamkeit und alles andere auch.“ (S.189)

Inhalt

Ein Ehemann quält jahrelang seine junge Frau. Ein Internatsschüler wird fast zu Tode gefoltert. Ein Ehepaar verliert die Kontrolle über ihre sexuellen Spiele. Ein Mann wird wegen Kindesmissbrauchs angeklagt. Leise, aber bestimmt stellt Ferdinand von Schirach die Frage nach der Schuld des Menschen.

Mein Eindruck

Ich habe vor vielen Jahren die ersten beiden Stories-Bände von Ferdinand von Schirach gelesen. Damals war diese Form der Erzählungen – Kriminalfälle, die auf wahren Begebenheiten aus dem anwaltlichen Alltag des Autors basieren – völlig neu für mich, so dass sich mir diese nicht nur inhaltlich, sondern auch erzählerisch sehr eingeprägt haben. Noch heute kann ich aus ihnen einzelne Geschichten nacherzählen und das, obwohl ich mir nicht mal die Namen der Protagonisten aus meiner aktuellen Lektüre merken kann. Im Jahr 2018 ist der dritte Erzählband „Strafe“ erschienen, den ich nun innerhalb eines Tages las. 

Es ist wieder geschehen: Diese Erzählungen haben mich abermals so tief beeindruckt, dass ich seit der Lektüre des Buches vor einigen Tagen jeder Person mit der ich sprach, von diesem unglaublich eindrucksvollem Buch erzählen muss – ob sie wollte oder nicht. 

Erzählt werden zwölf Stories, die sich – wie immer bei Schirach – um die Unterscheidung von Wahrheit und Wirklichkeit, um Schuld und Moral drehen. Nun könnte man meinen, dass dieses Konzept doch allmählich langweilig wird, aber weit gefehlt. Von den zwölf Erzählungen habe ich elf als absolut großartig empfunden – eine ziemlich beeindruckende Quote, wie ich finde. Das liegt zum einen natürlich am spannenden Inhalt der Fälle. Der Autor hat hier wieder sehr viel Fingerspitzengefühl bei der Auswahl der Fälle bewiesen. Zum anderen ist dies aber auch an der Art wie von Schirach seine Geschichten erzählt, geschuldet. Mit knappen, prägnanten Sätzen schildert er das Geschehen sehr nüchtern, distanziert und – was für mich am wichtigsten ist – wertfrei. Seine Protagonisten werden nicht vorverurteilt, sondern es wird den Leser genügend Raum eingeräumt, sich sein eigenes Urteil zu bilden, was zum Teil gar nicht so einfach ist.

Manche der Stories sind wirklich schwer zu ertragen („Ein hellblauer Tag“), andere wiederum tragikomisch („Der kleine Mann“), wieder andere anrührend („Der Freund“) – in jedem Fall sind sie sehr eindringlich und damit unvergesslich. Von Schirach stellt mit viel Empathie und Feingefühl einsame Individuen in den Mittelpunkt, die dem Leser trotz aller Knappheit sehr zugänglich sind. Mich fasziniert diese besondere Gabe des Autors sehr.

Mein Fazit:

Ferdinand von Schirach ist ein brillanter Erzähler, der in „Strafe“ zum dritten Mal Erzählungen aus seinem anwaltlichen und persönlichen Umfeld versammelt, in denen die Verfehlungen der Individuen bestraft oder manchmal auch nicht bestraft werden, wobei jeder Leser sich durch von Schirachs pointierte und zurückhaltende Erzählweise selbst ein Urteil über Gerechtigkeit, Moral und Schuld bilden kann. Es gibt keinen anderen Autor, der auf gerade einmal 192 Seiten so viele Emotionen im Leser hervorrufen kann wie Ferdinand von Schirach es tut. Ich würde auch die Bedienungsanleitung eines Bügeleisens mit Begeisterung lesen, wenn er sie geschrieben hätte.

 
Vielen Dank an den Luchterhand Verlag und das Bloggerportal für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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