|Rezension| Trennungen, Verbrennungen – Helmut Krausser

von | Jun 30, 2019 | 0 Kommentare

So geht intelligenter Humor!

Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 18,99 Euro
Erscheinungsdatum: 19.03.2019
Seiten: 256

„An diesem Sonntag wurde Leo bewußt, daß sich eine gute Beziehung gar nicht so sehr im Bett wie vor dem Fernseher entscheidet. Irgendwann, überlegte er, werden die Kompromisse auf dem Mittelweg zuviel. Eine Begeisterung, die man mit dem Partner nicht teilen kann, schrumpft, wenn man sie quasi in sich hineinfressen muß. Sie liegt dann schwer im Magen, und statt Euphorie stellt sich das Gefühl ein, nicht verstanden, nicht beachtet werden.“ (S.151)

Inhalt

Über das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Menschen zur Paarungszeit – Helmut Krausser jongliert in seinem neuen Roman mit den Mitteln einer raffinierten Soap und schafft Literatur mit Sogwirkung: Ein Großstadtkaleidoskop voller Witz und Überraschungen rückt unterschiedlichste Paare ins Licht. Da sind der Archäologe Fred Reitlinger und seine Frau Nora, ihr Liebhaber Arnie und dessen Gattin. Dann seine Doktoranden Leopold und Gerry im Streit um eine Uni-Stelle. Und Reitlingers Kinder: Alisha, 19, hat sich in ihre Kommilitonin Caro verguckt, die heimlich als Escort-Girl anschafft. Ihr Bruder Ansger dagegen ist nach einer Insolvenz verschwunden – ein Verbrechen? Caro wird ihren Liebhaber Petar nicht los, dessen Vater den Reitlingers eine Yacht verkauft, als Stützpunkt für Noras Schäferstündchen. Jeder ist mit jedem in Beziehung, Trennungen stehen bevor. Und auch Verbrennungen, nicht nur, weil mitten auf dem Wannsee ein Feuer ausbricht.

Mein Eindruck

Ich hatte bisher noch nichts von Helmut Krausser gelesen, obwohl mich v.a. sein Roman “Einsamkeit und Sex und Mitleid” schon lange allein aufgrund des Titels anspricht. Bei “Trennungen, Verbrennungen” konnte ich allerdings ebenfalls aufgrund des originellen Titels (der noch viel origineller ist, wenn man den Inhalt des Romans kennt), aber auch aufgrund des neugierig machenden Klappentextes, der einen Seifenoper-Charakter des Buches verspricht, nicht widerstehen. Soaps sind schließlich genau mein Ding und bei dem was ich bisher über den Autor wusste, versprach “Trennungen, Verbrennungen” im Gegensatz zum Vorabendprogramm bei RTL eine intelligente Seifenoper zu werden.

Helmut Krausser liefert mit diesem Roman eine unglaublich komische und pointierte Milieustudie des Bildungsbürgertums des 21. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht ein am Wannsee lebender Archäologieprofessor und dessen Gattin. Um sie herum spinnt der Autor ein Netz von Personen: Da gibt es die beiden (erwachsenen) Kinder, von denen eines pleite, dass andere vielleicht homosexuell ist, die zwei konkurrierenden Doktoranden des Professors und deren jeweilige Freundin, den Liebhaber der Professoren-Gattin und dessen Ehefrau, usw.

Eigentlich ist die Art wie Helmut Krausser über die Beziehungen der Figuren schreibt, überhaupt nicht lustig, sondern in seiner Trostlosigkeit eher erschütternd. Trotzdem schreibt er mit so viel Witz und einer Leichtigkeit über die Abgründe des menschlichen Miteinanders, dass man gar nicht anders kann als sich köstlich zu amüsieren, nicht zuletzt natürlich auch wegen des Wiedererkennungseffekts. Dieses Buch ist nicht nur hinsichtlich der Beziehungsformen ein buntes Potpourri, sondern auch hinsichtlich der verarbeiteten Themen, so z.B. moderne soziale Medien, vermeintlich erfolgreiche Startup-Unternehmen, Feminismus und sexuelle Orientierung. 

Am unterhaltsamsten an „Trennungen, Verbrennungen“ ist die Art und Weise wie subtil der Autor seine Kritik an der Gesellschaft   einfließen lässt. Durch seinen geistreichen Humor und die Lebendigkeit der einzelnen Szenen, die durch die Unterteilung in über 100 kurze Kapitel tatsächlich Soap-Charakter haben, ist Kraussers Erzählstil unverwechselbar. Teilweise sind die Geschehnisse sehr absurd, aber man nimmt das als Leser genauso gern in Kauf wie als Zuschauer einer Daily-Soap, weil es einfach gute Unterhaltung bietet. Seien Figuren sind genauso intelligent konstruiert wie der gesamte Plot mit seinen vielen Irrungen und Wirrungen, die in einem pointierten letzten Kapitel gipfeln. 

Schon der Titel dieses Romans ist ein erster Hinweis auf die Genialität Kraussers, da er den Inhalt mit zwei scheinbar zusammenhanglosen Begriffen perfekt umfasst. Wie pointiert er aber dieses Milieu rund um das Professorenpaar beschreibt, lässt mich zum Krausser-Fangirl mutieren, weshalb ich mir nun unbedingt auch seine früheren Werke zu Gemüte führen möchte. Allein schon um Herauszufinden, ob das Ignorieren der neuen deutschen Rechtschreibung in diesem Buch ein Stilmittel ist, um die Spießigkeit des Bildungsbürgertums auszudrücken oder eine Marotte des Autors ist, die sich durch all seine Werke zieht.

Mein Fazit:

Wer Interesse an menschlichen Beziehungen und außerdem Spaß an moderner, witziger, geistreicher Unterhaltung hat, sollte unbedingt Helmut Kraussers „Trennungen, Verbrennungen“ lesen. Seine Beschreibungen des Bildungsbürgertums im 21. Jahrhundert bestechen durch ihre ausdifferenzierten Charaktere, absurd komische Szenen und einen perfekt durchdachten Plot. Für mich ist dieses Buch ein Paradebeispiel dafür, dass sich humorvolle und intelligente Unterhaltung nicht ausschließen.

 
Vielen Dank an den Berlin Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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