|Rezension| Sarah – Scott McClanahan
Über den Verlust einer Liebe…

„Sarah dachte an all die wahren Tattoos, die es niemals auf unsere Haut schaffen. Sie fragte sich, warum die Leute sich nicht Dinge tätowieren ließen, die wahr waren, wie zum Beispiel Ich bin kein Schmetterling. Ich bin kein Einhorn. Ich bin keine Schlange. Ich habe Angst. Ich bin innerlich tot. Das sind die Bilder, die wir unterhalb der Haut tragen. Bilder, die auf unserem Herzen stehen, direkt ins Gewebe geschrieben, und sie sagen alle dasselbe. Wir verlieren, was wir lieben.“ (S.96)
Inhalt
»Ich weiß nur eine Sache übers Leben. Wenn du lang genug lebst, fängst du an, Dinge zu verlieren. Alles wird dir weggenommen: Zuerst verlierst du deine Jugend, dann deine Eltern, dann verlierst du deine Freunde, und am Ende verlierst du dich selbst.«
So beginnt Scott McClanahans semiautobiografischer Roman über Sarah seine erste Liebe, die Mutter seiner Kinder, seine Ex-Frau. Ein Buch über die Magie des Kennenlernens, über die Entstehung einer jungen Familie und ihre Auflösung. Genauso humorvoll wie traurig, tragisch wie hoffnungsreich, umspannt es den Bogen einer Existenz mit all ihren Höhenflügen und Absurditäten und entwirft so auch das Bild einer ganzen Generation. Mit ihren Sorgen und Hoffnungen, gefangen auf kleinstädtischen Walmart-Parkplätzen und in abgefuckten Kellern. Sehr amerikanisch und dabei universal.
Mein Eindruck
Ich mag ja Bücher, die durch ihre Schlichtheit auf sich aufmerksam machen, so wie Scott McClanahans “Sarah”: eine handschriftlich anmutendes “Sarah.” auf gelbem Hintergrund hat mich neugierig gemacht. Der Klappentext, der eigentlich keiner ist, hat mich dann vollends überzeugt. Er besteht aus einem Kreuzworträtsel mit Feldern “der Name deiner ersten Liebe” oder “was wir verloren haben”. Ich erwartete also eine melancholische Geschichte über eine verlorene Liebe namens Sarah.
Melancholisch ist die autobiografische Geschichte über Scotts und Sarahs Beziehungsende, die immer nur aus Scotts Sicht erzählt wird, zwar tatsächlich, aber dank des selbstironischen Schreibstils des Autors zumindest trotz aller Deprimiertheit gut zu ertragen. Ohne irgendetwas zu beschönigen, erzählt Scott McClanahans vom übermäßigen Alkoholkonsum seines Alter Ego, von Fressorgien, Auseinandersetzungen mit Sarah und Erniedrigungen nach der Trennung. Alles ist ein bisschen drüber: Beide sind der individuelle Persönlichkeiten und keine “Schubladen-Figuren”. Es wird sehr geflucht, gepöbelt, gesoffen und gekotzt – das nicht nur einmal, sondern eigentlich andauernd. Immer wieder denkt man “Okay. Jetzt rutscht Scott so richtig ab.”, aber dann fiel mir wieder ein, dass er ja dieses Buch geschrieben hat – also muss er früher oder später ja die Kurve kriegen.
Nachdem man als Leser im ersten Drittel des Buches erfährt, wie Scott und Sarahs sich kennen- und lieben gelernt hat, liegt der Fokus des Buches im zweiten Drittel auf dem Verlauf des Geschehens nach der Trennung der Beiden. Wer schon mal verlassen wurde, kennt bestimmt diesen Funken Hoffnung, dass sich alles noch zum Guten wendet, dass der Andere seine Entscheidung nochmal überdenkt und man ihn oder sie doch noch überzeugen kann, dass man ein guter Mensch ist. Man möchte Scott McClanahan ständig zurufen “Lass es sein! Du machst dich lächerlich!”, weiß aber eigentlich aus eigener Erfahrung, dass das auch dann nichts bringen würde, wenn er einen hören könnte.
Am eindrucksvollsten an “Sarah” finde ich, dass man in jeder Zeile dieses Buches spürt – selbst wenn Scott Sarah wütend beschimpft- wie viel im Sarah bedeutet, wie sehr er sie als Mutter seiner Kinder, in ihrem Job als Krankenpflegerin und als (Ex-)Partnerin schätzt. Dieses Buch ist trotz aller Vulgarität und Banalität der Ereignisse eine indirekte Liebeserklärung mit Tiefgang, weshalb der schlichte Titel “Sarah” als Hommage verstanden werden kann und somit absolut gerechtfertigt ist.
Als Übersetzer hat Clemens J. Setz hier übrigens einen sehr guten Job gemacht: Der individuelle Ton des Autors ist erhalten geblieben, wirkt flüssig und authentisch – bei diesem originellen Schreibstil war das sicher keine leichte Aufgabe.
Eine Frage, die für mich offen bleibt, ist keine inhaltliche, sondern eine, welche die Optik des Buches angeht: Warum ist es gelb? Das passt so gar nicht zum Inhalt. Aber vielleicht ist Gelb Sarahs Lieblingsfarbe?!
Mein Fazit:
Mit “Sarah” gibt Scott McClanahan seinen Leser*innen einen tiefen Blick in das Innere eines Mannes, der die Frau, die er liebt, verliert. Eindrucksvoll schildert er in Episoden seine Gefühlszustände. die von Verliebtheit über Depression und Alkoholsucht bis hin zu Verzweiflung reichen, schafft es aber durch einen selbstironischen Ton, seine Geschichte als unterhaltsam und nicht als jämmerliche, selbstmitleidige Tirade zu verkaufen. “Sarah” ist kein schönes Buch, aber ein ehrliches. Muss man sowas lesen? Nein. Ist alles ein bisschen “too much”? Ja. Was spricht dann für diesen Roman? In jedem von Scott McClanahans Worten schwingt Liebe mit für eine Frau, die er längst verloren hat und mit der er trotzdem immer verbunden sein wird.