|Rezension| Zwischenhalt Erde – Martin Knuth

von | Dez 15, 2020 | 0 Kommentare

Zwischen Sein und Schein liegt der Zwischenhalt Erde

Taschenbuch: 10,00 Euro
Erscheinungsdatum: 01.12.2020
Seiten: 124

„>>Macht dir das Schreiben keinen Spaß mehr?<<, fragte sie. >>Schreiben hat mir noch nie Spaß gemacht.<< >>Wirklich? Warum machst du es dann?<< Elmar seufzte. >>I hate writing, I love having written.<< >>Wie weit bist du denn?<<, wollte sie wissen. >>Du hast gar nicht gefragt, von wem das ist.<<, sagte er. >>Und, wie weit bist du?<< >>Dorothy Parker.<<.“ (S.65)

Inhalt

Hat jemand gesagt, es gäbe in unserem Alltag keine Geheimnisse mehr? Dann sei ihm Martin Knuths Debüt »Zwischenhalt Erde« ans Herz gelegt. Denn die Magie dieser neun Erzählungen speist sich aus dem, was nicht erzählt wird. Im Tanz um eine leere Mitte kippen sie umstandslos von Vergnügen in Verstörung – und ziehen uns so den sicher geglaubten Boden unter den Füßen weg. Fährt der verlorengegangene Waldspaziergänger aus »Südlich der Katalaunischen Felder« auf der Rampe eines Pick-ups seiner Rettung oder seinem Ende entgegen? Welche Rituale werden im Hinterzimmer eines ganz normalen Supermarktes mit frischen Kaninchen zelebriert? Und was für ein Spiel treibt »Herr Rendler« mit Fernglas, Notizbuch und einem »Zu verschenken«-Karton? »Zwischenhalt Erde« ist ein Leuchtfeuer an originellen Ideen und hat alles, was ein gutes Debüt ausmacht: starke Charaktere, Temperament, Fabulierlust. Und etwas, das man in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur fast mit der Lupe suchen muss: unangestrengten Witz.

Mein Eindruck

Vorab: Ich hätte dieses Buch vermutlich nie gelesen, wenn nicht a) der Autor selbst mich darauf aufmerksam gemacht hätte und b) eben jener nicht (wie ich) in Jena leben würde. Weder Cover noch Titel passen eigentlich in mein Beuteschema, Erzählungen allerdings schon. Als Martin Knuth mich fragte, ob ich sein Buch rezensiere, hat er einen Link zu einer Online-Lesung aus “Zwischenhalt Erde” mitgeschickt – dieser hat mich letztlich überzeugt, mich an dieses Büchlein mit dem merkwürdigen Cover zu wagen.

Martin Knuths Debüt enthält 9 Erzählungen unterschiedlichen Umfangs, die drei Gemeinsamkeiten haben: Sie beginnen recht harmlos, entwickeln sehr schnell einen ungeheuren Sog und lassen den Leser am Ende mit einem “WTF?”-Moment zurück. Bei der ersten Geschichte “Schattenmorellen” war dieser Effekt noch nicht ganz so stark, bei der zweiten Erzählung “Winterferien”, in der eine Mutter und ihr Sohn vor der drohenden Apokalypse vermeintlich Zuflucht bei einem kauzigen Mann auf dem Berg suchen, dafür umso stärker. In meiner Lieblingserzählung “Südlich der Katalaunischen Felder” tappt ein nach Ideen suchender Autor bei einem Waldspaziergang in eine Falle. Die Männer, die ihn am nächsten Morgen völlig entkräftet finden, scheinen ein Segen zu sein. Oder sind sie ein Fluch? Und in  meiner zweitliebsten Erzählung “Kaninchen” werden im Lagerraum eines Supermarktes von den Mitarbeiter*innen seltsame Rituale an Kaninchen vollzogen, die sich auf deren Stimmung auswirken. Doch was geht da vor?

Wie der Autor den Leser durch das Ungesagte Raum für eigene Gedanken lässt, auf falsche Fährten lenkt, die aber am Ende in keinem Ziel münden, kann vermutlich bei einigen Lesern ein Frustrationsgefühl hervorrufen. Als Fan von Kurzgeschichten mag ich aber gerade diese offenen Enden und bin geradezu begeistert von diesen kleinen Gemeinheiten, die in jeder Geschichte stecken. Ebenso fasziniert mich der Einfallsreichtum, der hinter diesen Geschichten steckt. Etwas derart Originelles in dieser Fülle habe ich noch nie gelesen. Das beste Beispiel dafür ist die titel- und covergebende Erzählung “Zwischenhalt”, in der ein Kind sein überfahrenes “Marl” begräbt, das dann später wieder vor ihm steht. Ihr fragt euch, was ein “Marl” ist? Ja, so ging es mir auch. Und ich kann euch verraten: Googeln hilft da nicht weiter! Da muss man schon dieses Buch lesen.

In Erzählbänden ist es ja meistens so, dass einem nicht alle Geschichten gefallen. Manche gehen gar nicht, andere scheinen nahezu genial. In “Zwischenhalt Erde” hatte ich eine so hohe “Gefällt mir”-Quote wie wohl noch nie, die liegt nämlich bei 8 von 9. Nur die letzte Geschichte “Plasma” hat mich ratlos zurückgelassen, aber nicht weil sie – wie alle anderen auch – offen endet, sondern weil ich sie schlichtweg nicht verstanden habe. Ich bitte um Aufklärung, Herr Knuth!

Mein Fazit:

Martin Knuth stellt in “Zwischenhalt Erde” auf sehr originelle Art die Fragen nach Gut und Böse, nach Schein und Sein. Jede Erzählung klingt lange nach und bietet hervorragendes Diskussionspotential für eine Leserunde. Die starken Charaktere seiner Geschichten überzeugen in diesem Buch ebenso wie der klare Sprachstil mit seinem schelmischen Unterton. Ich bin so froh, dass ich meine Komfortzone mal verlassen und mich auf “Zwischenhalt Erde” eingelassen habe. Dieses Debüt hat sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient! Wer also noch ein originelles (!!!1!!!11!) Weihnachtsgeschenk benötigt, bestelle doch bitte “Zwischenhalt Erde” am besten direkt beim Lesezeichen e.V. (ranis@lesezeichen-ev.de). 

 
Vielen Dank an Martin Knuth und Lesezeichen e.V. für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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