|Rezension| Bleiben – Judith W. Taschler

von | Okt 19, 2016 | 0 Kommentare

Ein Roman, dem bisher viel zu wenig Beachtung geschenkt wird

Verlag: Droemer
Gebundene Ausgabe: 19,99 Euro
Ebook: 14,99 Euro
Erscheinungsdatum: 01.09.2016
Seiten: 256

„Alle wollen sie den Sinn des Lebens ergründen. Meine Güte. Den Sinn des Lebens. Rennen angestrengt herum und schauen nicht nach links und rechts. Sehen nicht, wie schön die Welt und das Leben ist. Der Sinn des Lebens besteht darin, dass man erkennt, wie schön es ist. Aber darauf kommt niemand.” (S.146)

Inhalt

Es ist eine kurze, zufällige Begegnung auf der Reise nach Italien: Max, Paul, Felix und Juliane – vier junge Leute, voller Träume für die Zukunft, treffen im Nachtzug nach Rom aufeinander. Juliane und Paul werden heiraten, Max und Felix sich auf eine Weltreise begeben.
Nach zwanzig Jahren trifft Juliane Felix zufällig in einer Galerie wieder und die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre, die er jedoch ohne jede Erklärung abbricht. Erst Monate später erfährt Juliane – ausgerechnet von ihrem Mann – den Grund. Die Wahrheit ist furchtbar und lässt das Leben aller eine dramatische Wendung nehmen.

Mein Eindruck

Von Judith W. Taschler verweilt schon seit Jahren “Die Deutschlehrerin” ungelesen in meinem Bücherregal. Nachdem ich nun “bleiben” gelesen habe, weiß ich, dass es ein großer Fehler war, diesen Roman bisher nicht gelesen zu haben. Judith W. Taschlers Art zu Erzählen hat mich von der ersten bis zur letzten Seite fasziniert. Auf einem sprachlich hohen Niveau, aber mit klaren, wirkungsvollen Sätzen wird die Geschichte von vier Menschen erzählt, die sich auf einer Zugfahrt kennenlernten und 20 Jahre später durch verschiedene Zufälle wieder aufeinandertreffen.

Aus wechselnder Perspektive der vier Protagonisten (pro Kapitel ein Protagonist) entspinnt sich eine eingängige Erzählung über Freundschaft, Liebe, Leidenschaft, Loyalität, Schuld, Heimat und den Tod. Und immer wieder geht es ums “bleiben”. Das Bleiben an einem Ort, bei einem Menschen, auf dieser Welt.

Was zunächst verwirrt, ist der Ansprechpartner der Ich-Erzähler. Jeder Protagonist redet jemanden direkt an und bis zuletzt war mir nicht ganz klar, wer da gemeint ist. Ich als Leserin oder ein unbekannter Freund, an den die Protagonisten das Wort richten? Fakt ist, es ist nie die gleiche Person, sondern jeder Protagonist hat seinen ganz persönlichen Ansprechpartner, was gegen die Theorie des Lesers als Ansprechpartner spricht. Dieses Stilmittel hat mich einerseits neugierig gemacht, andererseits auch gerade zu Beginn verwirrt. Ich bin deshalb bis zuletzt unschlüssig, was ich davon halten soll. Es ist für mich jedenfalls kein Grund, diesen Roman nicht uneingeschränkt weiterempfehlen zu können.

Judith W. Taschlers großes Talent ist neben ihrer unaufgeregten, ansprechenden Art zu Erzählen die hohe Authentizität mit der sie über Gefühle schreibt. So lebendig einerseits und feinfühlig andererseits versetzt sie den Leser in die vier unterschiedlichen Gefühlslandschaften, die mich eindringlich bewegt haben. Gerade Julianes Geschichte hat mich auch Tage nach der Lektüre noch beschäftigt.

Mein Fazit:

Judith W. Taschler beweist mit „bleiben“, dass anspruchsvolle Gegenwartsliteratur sich nicht immer nur durch Schachtelsätze und Themen wie Wendezeit, NS-Regime o.ä. auszeichnen muss. Ihr gelingt es eine eindringliche Geschichte über vier Menschen und ihr Beziehung zum “bleiben” zu erzählen, die im Leser nachhallt und mich dazu gebracht hat sofort alle Bücher der Autorin auf meine Leseliste zu setzen. Ein Herbst-Roman, den man gelesen haben muss!

 
Vielen Dank an den Droemer Knaur Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
Share This