|Rezension| Die Harpyie – Megan Hunter

von | Mai 2, 2021 | 0 Kommentare

Spannendes Psychogramm einer betrogenen Frau

Verlag: C.H. Beck
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 09.04.2021
Seiten: 229

„Wir lebten alle in unserer eigenen Version von Elternwelt, einem Ort, an dem nichts geschah. Wir streamten Serien, um uns zu erinnern, wie sich ein Leben anfühlte, in dem etwas passierte, in dem eine einzige Nacht das Leben völlig auf den stellen konnte. In unserer Welt waren Babys passiert, das war zumindest etwas. Aber kaum eine von uns hatte noch Babys oder auch nur ein Kleinkind, und wenn wir über diese Zeit sprachen, dann mit jener stillen Andacht, mit der die Alten über den Krieg sprachen, uns wurden die Augen feucht, wenn wir an diese Atmosphäre zurückdachten, die Körperlichkeit des Atems, das amorphe Verschwimmen von Zeit und Raum.“ (S.115)

Inhalt

Lucy und Jake Stevenson leben mit ihren beiden Söhnen am Rande einer wohlhabenden Kleinstadt in England. Während Jake täglich zur Universität pendelt, arbeitet Lucy von zu Hause aus und kümmert sich um die Kinder. Doch eines Nachmittags zerstört ein Anruf die Familienidylle: Jemand möchte Lucy wissen lassen, dass Jake eine Affäre mit einer Arbeitskollegin hat. Das Paar beschließt zusammenzubleiben, trifft aber eine Vereinbarung als Ausgleich für den Verrat: Lucy wird sich drei Mal an Jake rächen – und er weiß nicht, wann und auf welche Weise. Während die beiden sich auf ein subtiles Spiel um Verbrechen und Strafe einlassen, beginnen sich Lucys Körper und Geist allmählich zu verändern, die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verschwimmen – eine Verwandlung, die sich nicht mehr aufhalten lässt … «Die Harpyie» erzählt eine packende Geschichte über Liebe und Verrat, Mutterschaft und Frausein, Wut und Befreiung. Ein Roman von archaisch-mythologischer Kraft und zugleich gegenwärtiger gesellschaftlicher Relevanz.

Mein Eindruck

Als ich dieses Buch in den Händen hielt, musste ich erstmal den Titel googeln. Mir war bis dahin der Begriff der “Harpyie” nicht geläufig, so dass ich mich kurzzeitig fragte ob der Titel englisch ausgesprochen wird (“Stirb Harpyie”). Aber nein, es geht in diesem Roman um die Harypie – ein mythologisches Mischwesen in Vogelgestalt mit Frauenkopf, was auch das Titelmotiv erklärt.

Diese mythologische Figur ist die Grundlage für Megan Hunters Roman über eine Frau, die vor Wut über den Betrug ihres Mannes, den Boden unter den Füßen verliert und zu einem rachsüchtigen Wesen wird. Was mich an diesem Roman wirklich fasziniert hat, ist die Feinsinnigkeit mit der die Autorin ihre Protagonistin Lucy darstellt: eine Frau, Mitte 30, verheiratet, Mutter zweier Söhne, die sich durch den Betrug ihres Ehemannes mit ihrem Dasein als liebende Ehefrau und Mutter intensiv auseinandersetzt. Aus der Ich-Perspektive wird so vom Alltag als selbständige Mutter mit Gelegenheitsjobs erzählt, vom gesellschaftlichen Druck, der Norm als liebende Mutter und Ehefrau zu entsprechen und dem Gefühl, den eigenen und den Ansprüchen der anderen nicht zu genügen. 

Megan Hunter erzählt von den ambivalenten Gefühlen, nachdem man betrogen wurde: dem Wunsch nach Rache, dem Wunsch nach der “heilen Welt” vor dem Betrug, dem Wunsch die Familie zu erhalten und dem Wunsch, einfach wegzulaufen. Sie erzählt auch von der Scham einer Betrogenen, dem nicht schwinden wollenden Misstrauen gegenüber dem Partner und den Schuldgefühlen gegenüber den Kindern. All das schildert sie mit prägnanten, klugen Sätzen, die Emotionen ohne Umschweife und Sentimentalitäten auf den Punkt bringen. 

Was mich an diesem Roman stört, ist leider genau das, was ihn so besonders machen soll: die mythologische Grundlage. Für mich war der Vergleich der Ich-Erzählerin mit der Harpyie von Anfang an zu gewollt und zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Die Parallele zwischen beiden Figuren war zu weit hergeholt. Er nimmt zum Ende leider Überhand, so dass die Authentizität, die der Roman bis dahin durchaus hatte, darunter leidet. Ich empfand das Ende des Buches leider als ziemlich unbefriedigend, weil es zu offen, zu mystisch und nicht mehr nachvollziehbar war. Für meinen Geschmack hätte es dieses mythologischen Background im Roman gar nicht gebraucht. Dann hätte der Roman zwar einen anderen Titel und ein weniger spektakuläres Cover bekommen müssen, aber allein aufgrund des spannenden Psychogramms einer betrogenen Frau überzeugen können. 

Mein Fazit:

“Die Harpyie” ist alles andere als ein Wohlfühl-Buch. Es ist böse, es ist düster und fordert den Leser bzw. die Leserin heraus. Für mich hat sich die Lektüre aufgrund des spannenden Psychogramms einer betrogenen Frau definitiv gelohnt, auch wenn ich den Bezug zur Sagengestalt der Harpyie nicht gebraucht hätte. 

 
Vielen Dank an C.H. Beck für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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