|Rezension| Ich warte auf dich am Ende der Straße – Jerome Colin

von | Jul 7, 2018 | 0 Kommentare

Sehr männlicher Roman über eine Ehe am Scheidepunkt…

Verlag: Atlantik
Originaltitel: Eviter les péages
Übersetzung: Christian Kolb
Broschur: 15,00 Euro
Ebook: 10,99 Euro
Erscheinungsdatum: 23.05.2018
Seiten: 176

„Es war nicht aus mit uns. Doch all die Verpflichtungen, die ein funktionierendes Familienleben mit sich bringt, hatten unsere Liebe in den Hintergrund gedrängt. Es war so weit gekommen, dass diese Verpflichtungen uns auseinandergetrieben hatten. Wir begrüßten uns am Morgen und verabschiedeten uns am Abend. Dazwischen passierte nicht sonderlich viel. Wir waren wie Flurnachbarn, die das Schlafzimmer teilten. Sonst war nichts übrig geblieben. Außer dem gemeinsamen Dach. Den gemeinsamen Kindern. Und der gemeinsamen Spülmaschine.“ (S.49)

Worum geht´s?

Wann genau verwandelt sich die Liebe in eine To-do-Liste? Was sind die wichtigsten Momente im Leben? Und was die Schönsten? Mit vierzig ist alles festgelegt, dann gibt es kein Zurück mehr. So denkt er, bis er eines Nachmittags in einer Bar Marie kennenlernt und sie ihn anlächelt. Er ist Taxifahrer in Brüssel, lauscht bereitwillig den Sorgen und Nöten seiner Passagiere oder hört Leonhard Cohen und Lou Reed. Er ist glücklich verheiratet, hat ein kleines Haus und drei Kinder. Doch mit Marie gerät alles durcheinander. Soll er den walk on the wild side wagen? Soll er seine Frau für eine andere verlassen, die er kaum kennt? Ein Roman über den scheinbar natürlichen Lauf der Dinge, die Einsamkeit in der Großstadt und die Sehnsucht, alles anders zu machen.

(Quelle: http://www.hoffmann-und-campe.de/buch-info/ich-warte-auf-dich-am-ende-der-strasse-buch-9503/)

Mein Eindruck

Ein Roman über einen Mann, der sich zwischen seiner Familie und einer Geliebten entscheiden muss auf knappen 173 Seiten? Geht das? Jerome Colin versucht diese komplexe Situation, in der sich mit Sicherheit schon viele verheiratete Männer und Frauen befanden, in “Ich warte auf dich am Ende der Straße” aus männlicher Ich-Perspektive zu schildern.

Fehlgeleitet vom romantisch anmutenden Titel und dem interessanten Covermotiv einer nächtlichen Stadt bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden, weil ich dachte, es handelt sich hier um eine nette Liebesgeschichte eines Franzosen. Jerome Colin ist allerdings Belgier und “Ich warte auf dich am Ende der Straße” keine Liebesgeschichte, sondern vielmehr eine klassische Midlife-Crisis-Story. Trotzdem lies ich mich auf dieses Buch ein, weil mich die Thematik interessierte und auch der männliche Blick darauf.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein Taxifahrer mit Hochschulabschluss mit Frau und drei gemeinsamen Kindern steckt in der nicht unüblichen “Wir leben nur noch nebeneinander her”-Phase einer Ehe als er Marie in einer Bar begegnet und mit ihr eine Liaison beginnt. Er verliebt sich Hals über Kopf und kommt deshalb sehr schnell an den alles entscheidenden Punkt, an dem er sich fragt, ob er seine Frau für Marie verlassen sollte. Bis hierhin ist alles ziemlich klischeehaft, seine Gedanken sind es jedoch nicht. Er ist sich trotz aller Verliebtheit bewusst, was auf dem Spiel steht, schreibt Pro- und Contra-Listen, lässt sich durch Gespräche mit Fahrgästen mal in die eine und mal in die andere Richtung lenken. Ich mochte es, ihm bei diesen Gedankenkarussell zu begleiten, was dazu führte, dass ich diesen Roman recht schnell gelesen habe. Natürlich wollte ich wissen, wie er sich letztlich entscheidet. Der voyeuristische Blick auf die Gedanken eines Mannes in der Midlife-Crises bot für mich als Frau einige neue Erkenntnisse – allein deshalb hat sich die Lektüre von “Ich warte auf dich am Ende der Straße” gelohnt.

Der größte Makel dieses Buches ist sein Sprachstil, der für meinen Geschmack zu testosterongeprägt war. Die Sprache ist nicht vulgär, aber stellenweise sehr derb und irgendwie platt – die Sätze sind kurz und ohne hohen literarischen Anspruch. In Anbetracht der Umstände, dass aber wirklich ungewöhnlich viele spannende Gedanken auf diesen 173 Seiten festgehalten werden, ist das wirklich schade, weil die Sprache den Gesamteindruck erheblich schmälert. Außerdem nervte mich die Hypochondrie des Protagonisten, der im Übrigen bis zuletzt namenlos bleibt, über alle Maßen, denn für die Geschichte war dieser Aspekt seines Charakters meiner Meinung nach absolut überflüssig, so dass ich diese Passagen nur quer gelesen habe.

Das Ende dieses Kurzromans war wiederum sehr gelungen – ein würdiger und kitschfreier Abschluss der Geschichte.

Mein Fazit:

“Ich warte auf dich am Ende der Straße” ist ein Kurzroman über einen Mann, der vor der Frage steht, ob er sein altes Leben gegen ein unbekanntes neues eintauscht. Er enthält viele kluge Gedanken, über die es nachzudenken lohnt, aber Jerome Colins sehr testosterongeprägte Sprache machte es mir schwer, mich richtig auf die Geschichte einzulassen. Dieses Buch war kein Genuss, aber es war erhellend und unterhaltsam, weshalb ich nicht bereue, es gelesen zu haben.

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