|Rezension| Guten Morgen, du Schöner – Greta Taubert

von | Mai 26, 2020 | 0 Kommentare

Nicht nur aus soziologischer Sicht spannend…

Verlag: Aufbau
Gebundene Ausgabe: 20,00 Euro
Ebook: 14,99 Euro
Erscheinungsdatum: 10.03.2020
Seiten: 249

„Der Osten ist wie die eigene Kindheit: Eine Aneinanderreihung von Enttäuschungen, die in der Summe aber vertraut und deshalb warm und schön ist.“ (S.238)

Inhalt

Der Ostmann sächselt, wählt AfD und pöbelt tumb durch Deutschlands Straßen. Dieses Bild vermitteln uns die Medien und es ist mehr als an der Zeit, damit aufzuräumen. In Anlehnung an Maxie Wanders Klassiker „Guten Morgen, du Schöne“ (1977) gibt die junge, ostdeutsche Journalistin Greta Taubert den Ostmännern von heute eine Stimme. Sie sind zwischen Mitte dreißig und Ende fünfzig, sprechen über das Mannsein, über Gleichberechtigung, über die Suche nach sich selbst und die Prägungen durch die Umbrucherfahrung. Greta Taubert ist von Osten nach Westen, von Norden nach Süden gereist und hat sich mit vielen Männern unterhalten. Ihr Buch ist eine charmante und spannende Annäherung an den zu Unrecht unterschätzten „Ossiboy“.

Mein Eindruck

Wie großartig ist bitte die Idee, ein Buch analog zu Maxi Wanders “Guten Morgen, du Schöne”, in dem Frauen aus der DDR interviewt wurden, in der heutigen Zeit – 30 Jahre nach dem Untergang der DDR – herauszubringen, in dem Männern, die in der DDR geboren wurden und deren Leben von der Wende maßgeblich geprägt wurde, eine Stimme bekommen? Ich war von diesem Konzept aus drei Gründen sofort begeistert: 

  1. Der lapidarste zuerst: Ich liebe den den Titel, den Maxi Wander ihrem Buch gegeben hat und finde es ganz wunderbar, das er auf diese Art wiederverwertet wird.
  2. Als Soziologin interessiere ich mich natürlich besonders für das, was sich aus den Biografien und Aussagen der Männer herauslesen lässt: Muster, Gemeinsamkeiten, Theorien über den Einfluss der Herkunft.
  3. Als Frau, die in der DDR geboren, in Sachsen-Anhalt aufgewachsen und in Thüringen zu Hause ist, interessiere mich auch persönlich für dieses Thema, da mir die Männer, die sie beschreibt aus offensichtlichen Gründen näher sind als vermutlich einer Frau, die in den alten Bundesländern sozialisiert wurde.

In ihrem Buch veröffentlicht Greta Taubert Gesprächsprotokolle mit Männern, die im Osten geboren und zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 33 und 59 Jahre alt sind. Diese 16 Männer bilden eine beeindruckende Vielfalt ab, haben jedoch mindestens einen gemeinsamen Nenner: Ihre Kindheit und ihr Leben im Osten der Republik wurden nachhaltig von ihrer Herkunft und dem Untergang ihres Geburtslandes beeinflusst. Aber es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten wie Greta Taubert, die sich immer wieder durch unterhaltsame  Zwischenkapitel zu Wort meldet, eindrucksvoll aufzeigt. Sie ist genervt von dem Klischee des AfD-wählenden, unzufriedenen, dümmlichen Ossis und Beweise mit ihrem Querschnitt und dem liebevollen Blick auf den mittelalten Ost-Mann, dass sich eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Spezies durchaus lohnt.

Jeder erzählt seine eigene Geschichte: Sie handeln von der Kindheit in der DDR, von der Suche nach sich selbst, der Umbrucherfahrung,  Entgleisungen, von Liebe, Familie und beruflicher Karriere bzw. Abstiegen. Da die transkribierten Interviews nicht als solche abgedruckt, sondern als Fließtext “geglättet” wurden, sind die einzelnen Biografien einerseits flüssig lesbar, andererseits aber immer noch durch ihre jeweils eigene Sprache sehr authentisch. Greta Taubert lässt “ihre Männer” einfach erzählen – es ist spannend, wie sie auch die härteste Nuss (zum Beispiel einen Mann, der sie vorher bei Facebook wild beschimpft hat) knackt und zum reden bringt. Fasziniert hat mich außerdem wie facettenreich die Ostmänner hier dargestellt werden und wie viele Ostmänner, die ich kenne, ich in diesem Buch wiedergefunden habe. 

Bei einer Geschichte fotografierte ich drei Seiten und schickte sie kommentarlos an einen mir bekannten Ost-Mann. Seine Antwort: “Woher kennen die mich?” Auf diesen Seiten ging es weniger um die DDR oder die Wende-Erfahrung, sondern vielmehr um eine Selbsteinschätzung des Mannes, die man aber – auch ohne ein*e Psycholog*in zu sein – durch die vorherigen Berichte über seine Kindheit in der DDR durchaus in weiten Teilen auf eben diese DDR-Sozialisation zurückführen kann. Ich hätte solche deutlichen Zusammenhänge von Charaktereigenschaften und DDR- bzw. Ost-Sozialisation in den Biografien von Ost-Männern vor der Lektüre von “Guten Morgen, du Schöner” nicht für möglich gehalten.

Einziger Kritikpunkt: Die Autorin verwendet für die von ihr interviewten Männer den Begriff “Ossiboys”. Mir ist klar, dass sie das nicht abwertend meint, sondern eher liebevoll, aber ich mag den Begriff trotzdem nicht, da er aus meiner Sicht genau in die Kerbe “blöder, naiver Ossi” schlägt. 

Mein Fazit:

Greta Tauberts “Guten Morgen, du Schöner” ist eine sympathische Auseinandersetzung mit Männern aus dem Osten der Republik, die auf unterhaltsame und liebevolle Art zeigt, dass es in den neuen Bundesländern nicht nur die AfD-wählenden, sächselnden Ost-Männer gibt, die in der Presse so gern breitgetreten werden, sondern eben auch den Ost-Mann, dem Gleichberechtigung in einer Beziehung wichtig ist, der es gelernt hat, mit Umbrüchen in seinem Leben umzugehen und sich immer wieder neu zu sortieren und dem ein Miteinander wichtiger ist als ein Machtposition. 

 
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