|Rezension| Herz auf Eis – Isabelle Autissier

von | Apr 9, 2017 | 1 Kommentar

Mein Herz wurde auf Eis gelegt – und dann wieder aufgetaut!

Verlag: mare
Originaltitel: Soudain, seuls
Übersetzung: Kirsten Gleinig
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 17,99 Euro
Erscheinungsdatum: 07.03.2017
Seiten: 224

„Ihre Beziehung ist wie ein Porzellanteller geworden, wie ein kostbares Objekt, das man mit übertriebener Vorsicht und Sorgfalt behandelt.“ (S.58)

Worum geht´s?

Sie sind jung und verliebt und haben alles, was sie brauchen. Aber ihr Pariser Leben langweilt sie, also nehmen Louise und Ludovic ein Sabbatjahr und umsegeln die Welt. Bei einem Ausflug auf eine unbewohnte Insel vor Kap Hoorn reißt ein Sturm ihre Jacht und damit jegliche Verbindung zur Außenwelt mit sich fort. Was als kleiner Ausbruch aus dem Alltagsleben moderner Großstädter gedacht war, mündet urplötzlich in einen existenziellen Kampf gegen Hunger und Kälte. Nicht weniger aufreibend ist das psychologische Drama, das sich zwischen den Partnern entspinnt. Wer trägt die Schuld an der Misere? Wer behält die Nerven und trifft die richtigen Entscheidungen? Und was wird aus der Liebe, wenn es ums nackte Überleben geht? Herz auf Eis wagt sich an die Frage, was mit uns und unseren Beziehungen geschieht, wenn wir unsere Komfortzone verlassen.

Cover und Titel

Bei diesem Roman hat mich ausnahmsweise mal der Titel mehr angesprochen als das Cover. Vermutlich liegt das daran, dass das Cover nun nicht unbedingt ein Eyecatcher ist, sondern durch sein dezentes Hintergrundmotiv eher zurückhaltend wirkt. Die durch die grau-blauen Farben des Covers ausgestrahlte Kühlheit wird durch das abgebildete Motiv (Meer und im Hintergrund Eisberge) noch verstärkt. Die Schriftart des Titels “Herz auf Eis” passt durch ihre Geradlinigkeit ebenfalls sehr gut in das Gesamtkonzept. Ich halte den Titel für extrem gelungen, da er zwei wesentliche Elemente des Romans in sich vereint: eine Liebesbeziehung (Herz) und die natürlichen Gegebenheiten (Eis). Außerdem ist sein wörtlicher Sinn “ein Herz, das auf Eis gelegt wird” letztlich das, worum es in dieser Geschichte geht. Chapeau für diese Wahl des Titels!

 

Mein Eindruck

Bisher ist es mir noch nie passiert, dass ich einen Roman widerwillig (und deshalb entsprechend langsam) bis zur Hälfte las und dann ab der Hälfte in pure Begeisterung verfiel. “Herz auf Eis” hat mich also förmlich zwiegespalten. Wie das passieren konnte, möchte ich gern im Folgenden erklären:

Durch die Buchbeschreibung weiß man als Leser grob worauf man sich bei dieser Geschichte einlässt: Ein französisches Großstadt-Ehepaar strandet auf einer (antarktischen) Insel und muss sich irgendwie durchbeißen, was ihre Ehe durch diese Extremsituation auf eine harte Probe stellt. Soweit sogut. Für mich war dabei vor allem der zweite Aspekt, also die sich verändernden zwischenmenschlichen Beziehungen, interessant, weniger der “Robinson Crusoe”-Aspekt.

Unterteilt ist das Buch in 2 Teile, wobei der erste Teil die Situation des gestrandeten Paares auf der Insel umschreibt und der zweite Teil das “danach”, das ich nicht näher beschreiben möchte, um nicht das Wesentliche des Plots zu verraten. Zum Lesen der ersten Hälfte habe ich eine Woche gebraucht, zum Lesen des zweiten Hälfte zwei Tage. Damit wird bereits deutlich wie unterschiedlich beide Teile nicht nur inhaltlich, sondern auch formal sind, was dazu führte, dass mich dieser Roman so zwiespältig zurücklässt.

Während die Geschehnisse im ersten Teil extrem distanziert, fast schon berichtartig, geschildert werden, wird im zweiten Teil intensiver auf die Gedanken und Gefühle der Figuren eingegangen. Ich habe mich den beiden Protagonisten im ersten Teil – trotz all der dramatischen Ereignisse (die aber eben nicht dramatisch, sondern sehr nüchtern erzählt werden) nicht verbunden gefühlt. Vielmehr hat Isabelle Autissier mein Herz vorübergehend auf Eis gelegt und erst im zweiten Teil wieder aufgetaut. Das lag vor allem daran, dass sie zwar für Beschreibungen der Natur die schönsten und blumigsten Metaphern fand, die zwischenmenschliche Beziehung aber in keinster Weise derart ausführlich beschreibt. Sicher spielt hier die Tatsache, dass die Autorin selbst die Welt umsegelt hat, keine unbedeutende Rolle – die Beschreibungen der Natur gründen mit Sicherheit aus ihren eigenen Erfahrungen und sind deshalb sehr authentisch.

Eine Szene des Buches ist mir im Hinblick besonders im Kopf geblieben: Das Paar arbeitet einen ganzen Tag hart an einer Sache, die ihnen vielleicht einen Ausweg von der Insel bietet. Ihre körperliche Erschöpfung, die auch daher rührt, dass sie kaum Nahrung haben, wird dabei immer wieder thematisiert. Aber abends legen sie sich auf ihre verschimmelte Matratze und haben erstmal eine Runde Sex. Das man auch in einer Extremsituation (die lange andauert) Sex hat, okay, aber in dieser konkreten Situation? Da fehlt mir wirklich die Glaubwürdigkeit. Davon abgesehen erfährt der Leser im ersten Teil eben vor allem die Fakten des Überlebenskampfs beider: Wie sie sich einen Unterschlupf “einrichten”, Robben und Pinguine jagen, weil diese ihre einzige Nahrungsquelle sind, wie sie Strategien entwickeln, von der Insel wegzukommen. Dies ist nicht uninteressant, aber eben durch die distanzierte Erzählweise soweit weg vom heimischen, kuschligen Sofa, dass ich mich nur schwer in die beiden hineinversetzen konnte.

Trotz dieser Schwächen war es faszinierend, Louise und Ludovic bei ihrem Überlebenskampf zu begleiten, zu verfolgen wie zwei sich liebende Menschen unter diesen extremen Bedingungen (Einsamkeit, Kälte, Hunger, Ausweglosigkeit der Situation) zu Individuen werden, für die nur noch eines zählt: Überleben.

Zur zweiten Hälfte des Buches fällt es schwer, etwas zu schreiben, ohne zu viel zu verraten. Ich hatte den Eindruck, dass die Autorin sich hier stärker um die Charaktere ihrer Figuren bemüht und hatte dadurch auch endlich auch einen Bezug zu ihnen. Vieles erscheint dadurch rückblickend verständlicher und so kam es, dass ich meine anfangs sehr negative Meinung vom ersten Teil revidieren musste. Es gibt in diesem Part ähnlich viele überraschende Ereignisse wie im ersten Abschnitt, nur ging mir das Schicksal der Figuren nun auch nah, weil ich die Distanz zu den Figuren verlor. Die moralischen Aspekte werden hier näher beleuchtet und es lässt sich nicht vermeiden, dass man als Leser in Überlegungen verfällt, wie man selbst in solch einer Situation handeln würde. Ist das Wohl des Partners gleichzusetzen mit dem eigenen, wenn es ums nackte überleben geht?

Das Ende des Romans empfand ich als gelungenen Abschluss, auch wenn es einige Fragen offen lässt. Aber das passt zum Stil des Romans und rundet die Geschichte deshalb gut ab.

Mein Fazit:

Isabelle Autissier hat mit ihrem Roman “Herz auf Eis” mein Herz erst eingefroren und dann überraschend wieder aufgetaut und zum Glühen gebracht. Ihr eindrücklicher Bericht über ein in der Antarktis gestrandetes Paar ist trotz einiger Schwächen eine lesenswerte, weil grenzerfahrene, Lektüre, die den Leser nachhaltig beschäftigt.

 

Vielen Dank an den mare Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
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