|Rezension| Vater des Regens – Lily King
Wenn hohe Erwartungen erfüllt werden…
„(…) doch das ist bis heute mein Idealbild von Liebe, von Harmonie: dieser Klang ihrer Stimmen auf der Couch, mit all ihren Überzeugungen und Hoffnungen und dem Lachen dazwischen.“ (S.198)
Worum geht´s?
Daley Amory erlebt als Elfjährige die Trennung ihrer Eltern und wie vor allem der charismatische, aber weltanschaulich in den 50er Jahren stecken gebliebene und selbstzerstörerische Vater seine alte Familie schnell durch eine neue ersetzt. Daley gelingt es, ein eigenes Leben, eine Liebesbeziehung aufzubauen, und bleibt doch auf eine gefährliche Weise auf ihren Vater fixiert, auf die Vorstellung, ihm helfen zu müssen. Mühsam muss sie sich aus dieser Verstrickung befreien.
Lily Kings dritter Roman mit seinen faszinierenden und aufwühlenden Charakteren zeigt das ganze psychologische und sprachliche Können der Autorin, die es den Lesern unmöglich macht, sich dem Sog dieser Geschichte zu entziehen.
Cover und Titel
Mein Eindruck
Lily King war neben Benedict Wells für mich DIE Entdeckung des letzten Jahres. Ihr erster ins deutsche übersetzte Roman “Euphoria” hat mich vollkommen überrascht und nachhaltig bewegt, weil er Dank seines speziellen Themas und der wunderbaren Sprache eine Wohltat zwischen all dem Einheitsbrei war.
Während die Autorin in “Euphoria” über anthropologische Forschungen und eine Dreiecksbeziehung schreibt, die historische Vorbilder hat, geht es in “Vater des Regens” um eine Vater-Tochter-Beziehung. Dieser thematische Wandel hat mich erneut überrascht, ist dieses Thema doch eines, das in der Literatur schon tausenfach verarbeitet wurde. Umso neugieriger war ich, ob es der Autorin erneut gelingt mich – trotz eines wenig originellen Themas – zu begeistern.
Wieder historisch eingebettet – dieses Mal in eine 70er Jahre amerikanische Kleinstadt-Idylle – erzählt Lily King in drei Zeitabschnitten (zwischen denen einige Jahre vergehen) die Geschichte von Daley, deren Eltern sich scheiden lassen als sie 11 ist, was zugleich Ausgangpunkt des Romans und erster Einschnitt in ihrem Leben ist. Obwohl man anfangs glaubt, die Sympathien seien klar verteilt (egoistische Mutter, narzisstischer Vater und armes Kind, das zum Spielball der Eltern wird), wird man im Laufe der Geschichte eines besseren belehrt. Keiner der Charaktere ist nur gut oder nur schlecht. Klar, Daleys Vater ist ein rassistischer Narzisst, ein Lebemann, der gerne Partys veranstaltet und seinem Kind spontan einen Hund kauft, um seine Liebe zu beweisen. Und trotzdem spürt man wie sehr auch er um seine verlorene Familie trauert und seine Kinder doch eigentlich liebt, auch wenn er sie immer wieder vor den Kopf stößt. Am eindringlichsten ist Daleys Charakter herausgearbeitet, aus deren Perspektive auch erzählt wird. Ihr Ringen um die Liebe des Vaters, ihre Trauer, wenn sie wieder einmal enttäuscht wird und ihr Inkonsequenz sobald es um ihren Vater geht. Immer wieder steht sie zwischen “Er ist doch mein Vater und braucht mich.” und “Er tut mir und meinem Leben nicht gut.” und das sowohl schon als Kind als auch als erwachsene, studierte Frau. Dieser Gewissenskonflikt, das irrationale Handeln in ihrem sonst so struktiertem Leben, ist fantastisch dargestellt und bis ins kleinste Detail authentisch.
Neben all den zwischenmenschlichen Beziehungen, auf denen ganz klar der Fokus liegt, lässt King aber auch die äußeren Umstände nicht außer Acht und so spielen die Rassenproblematik, Klassenunterschiede und die (Un-)Gleichberechtigung von Frauen ebenso eine tragende Rolle, die geschickt mit eingeflochten werden.
Lily Kings Sprache ist stets nüchtern, was mir besonders gut gefällt. Es gibt keine aneinandergereihten Metaphern oder blumigen Schachtelsätze und trotzdem schreibt sie beeindruckend einfühlsam. Der Roman besticht durch die leisen Töne und nicht durch Hollywood-Dramatik. Überspitzt formuliert: Es ist eine herkömmliche (unschöne) Familiengeschichte mit Höhen und Tiefen, bei der sich die Vater-Tochter-Beziehung als roter Faden erweist, der den Spannungsbogen hält. Bis kurz vor Schluss kann man als Leser nicht erahnen wie das Ganze wohl enden wird. Auch hier zeigt die Autorin einmal mehr ihr Geschick für glaubhafte und überzeugende Handlungen, indem sie ein durchaus realistisches Ende herbeiführt.
Beim Lesen habe ich mich oft gefragt, ob die Autorin hier ihre eigene Lebensgeschichte erzählt, da sie stets so dicht an ihren Figuren ist, dass diese doch kaum nur ihrer Fantasie entsprungen sein können. Aber vielleicht ist sie einfach eine großartige Beobachterin. Fakt ist: Ihr gelingt es wie keiner anderen durch leise Töne sehr laut zu werden.
Mein Fazit:
In “Vater des Regens” zeigt Lily King, dass familiäre Bindungen nicht nur positive Auswirkungen, sondern auch selbstzerstörerische Kräfte haben können, denen sich vor allem die Kinder kaum entziehen können. Die Autorin beweist einmal mehr welche kluge Beobachterin sie und schreibt trotz leiser Töne einen gewaltig nachhallenden Roman. Großartig!