|Rezension| Gespenster – Dolly Alderton

von | Apr 20, 2021 | 0 Kommentare

Erwachsenwerden macht keinen Spaß!

Verlag: Atlantik
Originaltitel: Ghosts
Übersetzung: Eva Bonné 
Gebundene Ausgabe: 22,00 Euro
Ebook: 16,99 Euro
Erscheinungsdatum: 02.02.2021
Seiten: 384

„Auf dem Rückweg liefen wir händchenhaltend, was ich seit meiner Studienzeit mit Joe nicht mehr getan hatte. Ich fühlte mich in eine Ära der Freuden und Verheißungen zurückversetzt. Ich war wieder ein Teenager, nur mit Selbstbewusstsein, eigenem Gehalt und ohne feste Zeit, zu der ich zu Hause sein musste. Die Möglichkeit eines Zweitlebens mit Max tat sich auf – ein Leben, das parallel zu meinem Alltag verlief (…) Während Max’ Wärme durch meine Hand in meinen Körper kroch, fühlte ich mich, als hätte ich einen Abwesenheitsassistenten eingeschaltet. Die Wirklichkeit konnte sich anstrengen, so viel sie wollte, sie konnte Mails und Nachrichten schreiben und anrufen – solange ich mit Max zusammen war, würde sie mich nie erreichen.“ (S.94)

Inhalt

Die erfolgreiche Food-Autorin Nina George Dean trägt ihren zweiten Vornamen, weil ein Hit von Wham! an ihrem Geburtstag vor zweiunddreißig Jahren auf Platz eins der Charts stand. Das beeindruckt Max, den sie von einer Dating-App kennt und der auf rasante Weise ihr Herz erobert. Doch genauso schnell, wie er Nina an der Nachtbushaltestelle das ewige Glück versprochen hat, verschwindet er plötzlich wieder aus ihrem Leben – ohne eine Spur zu hinterlassen. Gleichzeitig plant Ninas Exfreund seine Hochzeit, und ihre beste Freundin erwartet ihr zweites Baby. Und dann erkrankt ihr geliebter Vater an Demenz. Als Nina alles zu entgleiten droht, wünscht sie sich nur noch sehnlichst in ihre Jugendtage zurück – bis sie erkennt, dass das Leben immer in dem Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft spielt. 

Mein Eindruck

Die Überschrift fasst den Inhalt dieses Romans eigentlich schon zusammen: Erwachsenwerden macht keinen Spaß! Die Erfahrung macht auch die 32-jährige Nina, die als Kochbuch-Autorin zwar einen hippen Job hat, der es ihr ermöglicht hat, eine kleine Wohnung in London zu kaufen, aber davon abgesehen mit Problemen kämpft, die wohl vielen Menschen dieses Alters sehr bekannt vor kommen. Nach einer langen Beziehung und zwei Jahren Single-Dasein meldet sie sich auf einem Dating-Portal an. Urkomisch schildert sie, welche Typen von Männern ihr da beim Hin- und Herwischen begegnen. Hier trifft Dolly Alderton wohl das erste Mal den Nerv der Zeit. Nina trifft sich mit einem der Männer. Und schnell wird klar: Er ist zu gut und schön, um wahr zu sein. Wo ist der Haken? Der Haken ist, dass er sich – obwohl alles perfekt zu sein scheint – nach ein paar Monaten auf Wolke 7 nicht mehr meldet. Was ist passiert?

Dolly Alderton gibt einen Einblick in das Phänomen “Ghosting” (= wenn eine Person wie ein “Geist” plötzlich aus deinem Leben verschwindet). Aber hier liegt schon das Problem des Romans: Es ist eben nur ein Einblick. Obwohl das Thema sogar titelgebend für den Roman ist, fehlt ihm meiner Meinung nach der Tiefgang. Dolly Alderton versucht zwar durch die Gedankengänge der Protagonistin die Gefühle darzustellen, die man empfindet, wenn eine Person, die man in sein Herz geschlossen hat, von einem Tag auf den anderen aus dem eigenen Leben verschwindet, aber sie bleibt dabei eher oberflächlich, was ich sehr schade finde. Dafür gibt es viele Nebenhandlungen (die beste Freundin, die als Mutter eine andere Lebenswelt als Nina hat; die andere Freundin, die die typische Single-Frau auf der Suche nach dem Traumprinz verkörpert und der demente Vater, um den sie sich sorgt), die zweifellos auch Probleme dieser Generation sind, aber für einen Roman von diesem Umfang einfach zu viele Themen sind, um sie mit der nötigen Tiefe zu behandeln.

So bleibt “Geister” zwar aufgrund einiger plot twists ein Pageturner, der mich gut unterhalten hat. Ich kann auch verstehen, dass er viele Frauen anspricht, da er sehr humorvoll geschrieben ist und aufgrund der behandelten Themen ein hohes Identifikationspotential bietet. Aber um mich zu nachhaltig begeistern, hätte es eine stärkere Fokussierung auf das Thema “Ghosting” gebraucht. Natürlich fühlt sich Nina mies, wenn der Typ, den sie für ihren Traummann hielt, plötzlich von der Bildfläche verschwindet. Spannend ist doch aber, wie sich das auf ihre Psyche auswirkt. Im Buch geht es eher um den Liebeskummer als um die Selbstzweifel, Ängste und Scham, die man in solch einer Situation auch empfindet.  
Demenz ist eine weiteres Problemfeld, mit dem sich die Protagonistin auseinandersetzen muss, da bei ihrem Vater, zu dem sie schon immer eine engere Bindung als zu ihrer Mutter hat, diese Krankheit diagnostiziert wird. In Ansätzen ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema wirklich gelungen, vor allem Ninas Rolle als Vermittlerlin zwischen Mutter und Vater hat mir gut gefallen. Für meinen Geschmack kommen aber auch hier die inneren Monologe über Ninas Ängste und Sorgen zu kurz, was die Krankheit etwas harmloser erscheinen lässt als sie eigentlich ist.

Was in diesem Roman allerdings sehr authentisch behandelt wird, ist das Thema “Frauenfreundschaften”. Dolly Alderton schildert sehr authentisch wie Freundschaften, die schon seit der Kindheit bestehen, sich wandeln können. Während die einen noch jedes Wochenende auf Partys gehen und Dates haben, gründen andere eine Familie und haben damit einen anderen Lebensmittelpunkt. Dass diese unterschiedliche Entwicklungen Konflikte mit sich ziehen, ist vorprogrammiert. Die Autorin greift dieses Konfliktpotenzial auf und wirft ihre Hauptfigur mitten hinein, so dass viele Leserinnen sich wohl in der ein oder anderen Frauenfigur sicherlich nicht in Gänze aber zum Teil wiederfindet.

Mein Fazit:

Dolly Aldertons Debütroman “Gespenster” ist kein Roman über Ghosting, sondern eher ein Roman über das Erwachsenwerden und den damit verbundenen Problemfeldern, von denen der immer stärker werdende „Trend“ des Ghostings nur eines ist. Der Unterhaltungswert des Romans ist aufgrund des humorvoller Schreibstils und des guten Spannungsaufbaus sehr hoch. Allerdings bleibt er aufgrund der Vielzahl der Probemfelder eher an deren Oberfläche, was ich sehr schade finde.

 
Vielen Dank an den Atlantik Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
 
 
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